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Aufstand der
Mby'a-Guaraní-Frauen

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Jorgelina ist wütend:

Ein indigener Cacique in ihrer Region in Argentinien nutzt seine traditionelle Autorität aus und verwehrt den Frauen in seiner Gemeinde ihr eigenes traditionelles Mitspracherecht – ausgerechnet in Bezug auf Gewalt in der Familie und Femizide. Leider ist das kein Einzelfall, besonders bei älteren Caciques. Mit jüngeren hat Jorgelina bessere Erfahrungen gemacht. Sie respektieren Frauenrechte eher. Aber das Patriarchat weicht nur langsam. Ein schwieriger Kampf für Jorgelina. 

Charlotte Eichhorn

aus

Auf der einen Seite will Jorgelina die traditionelle "innenpolitische" Struktur der indigenen Gemeinschaften nicht angreifen. Andererseits weiss sie, dass es auch in indigenen Gemeinschaften, wie in jeder Gesellschaft, "faule Äpfel" gibt." Sie könnte unter Berufung auf argentinische Gleichstellungsgesetze den Cacique angreifen, würde sich aber wohl damit nicht durchsetzen. Auch findet sie, interne Angelegenheiten sollten intern gelöst werden.

Jorgelina ist eine der wenigen Mby'a-Guaraní-Frauen in Argentinien, die es in die internen Machtstruktur der Guaraní fast auf die Stufe eines " Cacique" gebracht hat.

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Allerdingss musste sie letztlich ihren Vize-Cacique-Status in ihrer abgelegenen Gemeinde Tamadua aufgeben, da sie als internationale Vertreterin des länderübergreifenden Guaraní-Dachverbandes CCNAGUA zu oft abwesend war, auch im Ausland, aber sie hat es als Indigene und Frau doppelt schwer. In den vergangenen 20 Jahren haben die Argentinierinnen Rechte erstritten. Doch sie sind in Gefahr.

Auch Gewalt gegen Frauen weit verbreitet. Offiziellen Zahlen zufolge wurden im Jahr 2023 insgesamt 322 Frauen ermordet. Bei Vergewaltigungen gibt es keine offiziellen Zahlen, aber nach Ansicht von Jorgelina eine sehr hohe Dunkelziffer, da es noch immer sehr wenige offizielle Anzeigen und Meldungen gibt. Zudem sind laut Medienberichten staatliche Organe wie die Polizei oft in diese Verbrechen verwickelt, oder decken sie. Trotzdem hat der 2023 gewählte, libertäre Präsident Javier Milei das Ministerium für Frauen und Gleichstellung geschlossen. Milei gilt als Rechtsassen. Er hat während des Wahlkampfs Frauenrechte öffentlich lächerlich gemacht und mit einem Abtreibungsverbot gedroht. Mit Brasiliens ultrarechtem Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro sympathisiert er. 

Seine Unterstützung des Patriarchats zeigt sich aber auch noch in anderen Bereichen: Für Grossgrundbesitzer und ausländische Investoren sind seit Jahrzehnten Land und Bodenschätze eine Ressource, die es auszubeuten gilt. Das führt zu Abholzung, Mineralabbau und Umweltzerstörung.

Für Milei, Grossgrundbesitzer und ausländische Investoren sind Land und Bodenschätze eine Ressource, die es auszubeuten gilt.

Wer wie die Indigenen eine andere Sichtweise zur Natur und zum Leben hat, wird lächerlich gemacht, bedroht, vertrieben oder ermordet. Eine Entwicklung, die sich unter Milei fortsetzt. Er öffnet ausländischen Investoren Tür und Tor, insbesondere in extraktivistischen Industrien wie Erdöl und Bergbau. 

Indigener Identitätsverlust der Männer führt zu Gewalt in der Familie

Diese Situation führt zu Frustration in der traditionellen indigenen Männerwelt, da sie ihr Land und Wald verlieren und nicht mehr in der Lage sind, ihre Familien durch die Jagd zu ernähren. In der Regel haben sie auch kein anderen Arbeitsmöglichkeiten. Der indigene Lebensstil verliert an Relevanz. Diese Unsicherheit wird noch verstärkt durch den Einfluss einer teilweise digitalisierten Welt in ihren Dörfern, insbesondere durch Handys, so dass sie zwischen der traditionellen und der modernen Welt  schwanken und nicht immer wissen, wie sie damit umgehen sollen. Die Jugend passt sich schneller an und einige stellen dann die traditionelle Autorität der Älteren in Frage. Als Folge lassen dann einige Männer ihre Frustration an ihren Frauen und Familien aus.

Als Folge lassen dann einige Männer ihre Frustration an ihren Frauen und Familien aus.

Trotz Ausnahmefrauen wie Jorgelina herrscht in vielen indigenen Gemeinden immer noch eine traditionelle, fast ausschließlich männlich geprägte, patriarchalische Gesellschaft, in der der "Cacique" das Schicksal von Frauen, Jugendlichen und Kindern in der Hand hat und auch über allfällige Strafen der Männer entscheidet. 

Das argentinische Gesetz toleriert dies als kulturelle Eigenheit und greift nur ein, wenn Todesfälle bekannt werden.

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Der Arzt Dr. Javier ist seit fast einem Jahrzehnt für einige indigenen Mby'a-Gemeinschaften im öffentlichen Gesundheitsdienst in Misiones verantwortlich. Cacique Hilario vertritt 14 Mby'a-Guaraní-Gemeinschaften in seinem Zuständigkeitsbereich.

Mehr zu Dr. Javier: 

Beide versuchen nun, finanziert von einer kirchlichen Hilfsorganisation aus Europa, der Diskriminierung von Frauen in der indigenen Justiz entgegenzuwirken, leider ohne die traditionelle Rechtssprechung aufzuweichen.

Es ist schwierig für Aussenstehende, die Funktionsweise und Regeln dieser jahrtausendealten Kulturen vollständig zu verstehen. Die Indigenen haben ihre eigenen Traditionen und Lebensweisen, die für sie bis vor ein paar Jahrzehnten auch noch funktioniert haben. Heutzutage erscheinen sie jedoch oft fremd und schwer nachvollziehbar für unsere weisse Welt. 

Jorgelina will dem nun entgegentreten. Sie hat eine Frauengruppe gegründet, der Vertreterinnen aus mehreren, abgelegenen Gemeinden angehören. Die Gruppe trifft sich einmal im Monat, um über verschiedene Themen zu diskutieren, einschließlich Frauenrechte. Ihr Ziel ist es, den Frauen Mut zu machen, ihre Meinung nicht nur innerhalb ihrer Gemeinschaft wieder zu äussern, sich auch der Presse und der Öffentlichkeit gegenüber zu öffnen, um über ihr Leben und ihre spezifischen Probleme zu sprechen. Es ist ein erster Versuch, den Einfluss der Caciques abzumildern. 

Jorgelina hat eine Frauengruppe gegründet.

Es gibt bereits eine jüngere, politisierte  Mby'a-Guaraní-Frauengeneration, die studiert und sich deshalb auch täglich in der weissen Welt bewegt. Gleichzeitig setzen sie sich aber auch dafür ein, ihre indigenen Traditionen zu bewahren, lokale indigene Frauen zu fördern und versuchen einen Kompromiss zwischen den beiden Welten zu finden.

Jungen Frauen wehren sich auch gegen eine Art intellektuellen Rassismus der weissen Welt.

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Studentinnen wie Luz wehren sich auch gegen eine Art intellektuellen Rassismus der weissen Welt.

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Sie kritisieren, dass die NGO-Vertreter sich manchmal elitär verhalten und die Mby'a- Frauen in Kursen -so gut sie auch gemeint sind- fast wie Kinder behandeln. Luz und ihre Mitstreiterinnen prangern dies an, versuchen aber durch vermehrte, lokale  Informationen in beiden Welten, Brücken zu bauen statt Gräben aufzuschütten.

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In einem hat Dr. Javier wohl recht: dass Gewaltverhinderung durch die Verbesserung der Lebensqualität funktioniert, und dass dies auch für das Überleben der Mby'a-Guaraní-Gemeinden entscheidend ist.

Zwar sind neue Wasserleitungen und Elektrizitätsversorgung sowie eine an die moderne Welt angepasste Ernährung hilfreich, doch legt er besonderen Wert auf die Bildung von Erwachsenen, Kapazitätsplanung und die optimale Nutzung vorhandener Ressourcen.

Indigenen Gemeinden werden wohl vom argentinischen Staat in naher Zukunft keine finanzielle Unterstützung mehr bekommen, auch ihr "Land- und Wohnrecht" wird noch mehr verwässert oder abgeschafft, die Gemeinden wohl noch mehr von NGO s abhängig werden. Aktuelle Zahlen zeigen, dass auch fast die Hälfte aller nicht-indigenen Argentinier unter der Armutsgrenze leben. Es ist offen, ob Präsident Mileis Schocktherapie funktioniert und die Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumspfad führt. Und selbst dann ist eher unwahrscheinlich, dass davon die ärmste Bevölkerung profitiert.

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