Buen Vivir
- das gute Leben
Alberto Acosta ist ein Mann mit einer Mission: Er will die Menschheit davon überzeugen, dass sie mit ihrer Konsumgesellschaft auf dem Irrweg ist. Die Kritik ist nicht ganz neu, der Papst schlug 2015 mit seiner Enzyklika „Laudato si“ in die gleiche Kerbe. Neu und jenseits von marxistischen Dogmen sind aber die Antworten, die der 1948 geborene Ökonom und ehemalige Energieminister Ecuadors gibt. Denn sie sind zugleich praxisnah und theoretisch fundiert. Inspiriert wurde Acosta vom Prinzip des „Guten Lebens“, ein Leitbild der indigenen Kosmovision seiner Heimat. Doch eine Rolle rückwärts in die Geschichte liegt Acosta, der in Deutschland studiert hat, fern. Als Vorsitzender der Verfassungsgebenden Versammlung gelang ihm eine bemerkenswerte Synthese aus traditionellen Lebensweisen (u.a. Rechte der Natur) und westlich-modernen Elementen wie Gleichstellung, Menschenrechten und pluraler Demokratie.
Herr Acosta, was ist das „Gute Leben“? Kann man das so allgemein überhaupt festlegen?
Es sind uralte Werte und Erfahrungen der Menschheit, die heute noch in indigenen Gemeinden existieren. Das gilt nicht nur für Lateinamerika, sondern man findet Elemente auch in Indien oder in Afrika. Den Einzelnen nicht als frei schwebendes Atom, sondern als Teil einer Gemeinschaft zu sehen, ist ein wesentliches Element des guten Lebens. Ein weiteres ist die Koexistenz mit der Natur. Ein drittes ist die Spiritualität, die ich als Ökonom nicht so gut erfassen kann. Es geht dabei darum, wie alles miteinander zusammenhängt. Oberstes Ziel ist ein Leben in Harmonie mit sich selbst, den anderen und seiner Umwelt. Es ist also eine Art kollektives Gedächtnis, das uns helfen kann, eine bessere Welt zu schaffen. Eine Welt, in der alle würdig leben können.
Wieso brauchen dumme Menschen, und da schliesse ich mich ein, jedes Jahr ein noch schlaueres Handy, wenn wir davon höchstens ein Zehntel nutzen?
Alberto Acosta:
Buen Vivir
Den Einzelnen nicht als frei schwebendes Atom, sondern als Teil einer Gemeinschaft zu sehen, ist ein wesentliches Element des guten Lebens.
Wie gelangte das „Gute Leben“ in Ecuador auf die politische Agenda?
Das Konzept hat in den indigenen Gruppen überlebt, wenngleich es durch die spanische Kolonialisierung unterdrückt und marginalisiert wurde. Für die Spanier waren die traditionellen Werte und Praktiken der indigenen Völker Zeichen einer Rückständigkeit, die es zu überwinden galt. Aber in den 90-er Jahren gerieten der oligarchische, post- koloniale Staat und das neoliberale Wirtschaftsmodell in eine Krise. Gleichzeitig fand eine Emanzipation der indigenen Völker statt, die aus dem Schatten traten und eine klare, politische Position einnahmen. Sie wollten nicht mehr Objekt, sondern gestalterisches Subjekt der Politik sein, vor allem, um ihrer Lebensphilosophie eine Stimme zu verleihen. Diese Logik spiegelt sich in den neuen Verfassungen Boliviens und Ecuadors aus den Jahren 2008 und 2009 wider.
Wie haben Sie es als Präsident der Verfassunggebenden Versammlung geschafft, dass auch die Weissen und die Mestizen diese indigene Weltanschauung für voll nehmen?
Das war gar nicht so schwierig, denn viele Elemente sind allgemein gültig. Nehmen wir zum Beispiel den Mensch als Teil einer Gemeinschaft. Das ist etwas Grundlegendes, und die Menschheit hat über Jahrtausende hinweg in einer gemeinschaftlichen Logik gelebt. Erst vor 200 Jahren mit der Aufklärung kam die Vision vom freien Individuum auf, das auf dem Markt mit anderen Individuen in einen Wettbewerb tritt und, wenn der Staat Privateigentum sowie Rahmenbedingungen garantiert und damit das Gemeinwohl steigert. Das ist der Kerngedanke des Liberalismus, aber der ist eben erst 200 Jahre alt, und wir entdecken nun seine Grenzen.
Was ist denn so schlecht daran?
Wir haben den Individualismus vergöttert, aber das hat uns nicht glücklich gemacht.
Gleichzeitig fand eine Emanzipation der indigenen Völker statt, die aus dem Schatten traten und eine klare, politische Position einnahmen.
Wir haben den Individualismus vergöttert, aber das hat uns nicht glücklich gemacht. In England wurde jetzt sogar eine Behörde der Einsamkeit eingerichtet, um die Vereinsamung der Menschen in den anonymen Grossstädten rückgängig zu machen. Wir müssen aufhören, uns als etwas Besseres zu empfinden. Wir sind nicht Herren der Natur, sondern Teil von ihr. Die Natur darf nicht privatisiert und ausgebeutet werden. Das ist die grundlegende Idee für ein neues juristisches Konzept, das im „Buen Vivir“ wurzelt und der Natur Rechte einräumt. Es gibt bereits erste Modellprozesse. Etwa in Kolumbien haben Jugendliche erfolgreich den Staat verklagt, um ihn zu zwingen, den Amazonas zu schützen. Aus diesem juristischen Konzept lassen sich dann politische Forderungen ableiten, wie beispielsweise ein Verbot der Merkantilisierung von Wasser. Wasser darf kein Handelsgut sein, weder von staatlicher noch privater Hand. Es muss allen gehören, denn es ist ein Menschenrecht.
Es gibt Länder wie Bhutan, in denen der Staat sich nicht mehr das Wirtschaftswachstum zum Ziel setzt, sondern die Maximierung des Glücks seiner Bürger. Es scheint also weltweit etwas in der Luft zu liegen...
Ja, auch die Enzyklika des Papstes öffnet die Tür zu einer tieferen und interessanten Reflexion. Sie spiegelt die katholische Vision wieder, aber man findet in ihr durchaus Elemente der Ökologie. Die Enzyklika relativiert die Aussage im ersten Buch Mose von der Beherrschung der Natur durch den Menschen. Der Papst sagt, dies sei ein Missverständnis, und ebnet damit den Weg für ein Ende des biblischen Anthropozentrismus. Wenn er schreibt, dass es einen doppelten Schrei gibt, zum einen der Mutter Erde, die durch den Kapitalismus zerstört wird, und zum anderen von den Armen, die Opfer eben dieses Kapitalismus und seiner Ungleichheit werden, öffnet er die Tür für eine Debatte.
Sarayaku ist eines der wenigen Beispiele von indigenen Gemeinden, die sich erfolgreich gegen Erdölkonzerne wehren konnten. Was macht Sarayaku so besonders?
Der Erfolg liegt meiner Meinung nach in der grossen internationalen Unterstützung,im Zusammenhalt der Gemeinschaft und der Kohärenz der Ideen. Sarayaku war massgeblich beteiligt an der Diskussion um die neue Verfassung in Ecuador und hat Ideen beigetragen in der Debatte über das Gute Leben. Die Gemeinde versucht, ihre Kultur und ihre Traditionen zu bewahren, ohne sich dem Fortschritt zu verweigern. Es gibt dort Solarpanel und Satelliteninternet. Dieser Wandel führt natürlich zu Spannungen, ist aber eine interessante Gratwanderung. Sarayaku ist weltweit ein Beispiel für Widerstand, verbunden mit einem alternativen zivilisatorischen Modell.
Die Natur darf nicht privatisiert und ausgebeutet werden.
Dieser Wandel führt natürlich zu Spannungen, ist aber eine interessante Grat-
wanderung.
Nun ist Sarayaku eine überschaubare Indigena-Gemeinde im Regenwald. Wie kann das klappen in einem Nationalstaat mit einer zentralistischen Regierung und in einer globalisierten Wirtschaft? Braucht das Gute Leben ein neues, politisches System?
Zum einen dürfen wir indigene Gemeinschaften nicht idealisieren. Viele von ihnen sind gescheitert auf ihrer Suche nach einem harmonischen Leben. Aber klar ist, dass wir die Demokratie neu erfinden müssen. Demokratie darf nicht nur in der Stimmabgabe bestehen, sondern die Gemeinschaft muss an wichtigen Entscheidungen teilhaben. Demokratie ist ein ständiger Diskussions- und Entscheidungsprozess. Autonomie ist von zentraler Bedeutung, damit die Menschen selbst Antworten auf ihre Probleme finden können. Diese können nicht von aussen oder von oben autoritär aufgedrängt werden, denn es gibt keine Patentrezepte. Natürlich wird es dadurch schwieriger und langwieriger, zu Entscheidungen zu kommen, zumal wenn sie wie im indigenen Ayllu im Konsens getroffen werden müssen. Aber die Lösungen sind dann viel dauerhafter, weil die Menschen hinter ihnen stehen.
Die Gemeinde versucht, ihre Kultur und ihre Traditionen zu bewahren, ohne sich dem Fortschritt zu verweigern.
Wie wäre so etwas umsetzbar in einem so komplexen System wie der EU zum Beispiel?
Jedes Land und jede Region muss selbst neue Wege finden. Aber in Europa gibt es ein interessantes Beispiel, und zwar in der Schweiz mit ihrem System der Volksabstimmungen und der rotierenden Exekutive. Das ist eine gute Idee, um Machtkonzentration und -missbrauch zu vermeiden. Davon kann man sich sicher etwas abschauen.
Was machen wir mit dem Bergbau, der Ölindustrie, den Städten, alles grundlegende Dinge für unsere Zivilisation?
Eine neue Zivilisation können wir nicht über Nacht auf die Beine stellen. Zuerst einmal müssen wir verstehen, dass unser Lebensstil, der so viele Ressourcen und fossile Brennstoffe braucht, nicht nachhaltig ist und kein Vorbild für die Welt sein kann. Das sagt sogar die Internationale Energieagentur, die weder besonders ökologisch noch links ist. Sie kommt zu dem Schluss, dass wir 2/3 der bekannten Rohstoffvorkommen im Boden lassen müssen, wenn wir die Atmosphäre nicht um zwei Grad Celsius aufheizen wollen. Wir brauchen also eine Wirtschaft, die auf erneuerbaren Energien basiert. Das ist eine Herausforderung, gerade für Industrieländer wie Deutschland, wo sich die Freiheit der Bürger anhand der Geschwindigkeit misst, mit der sie über die Autobahn brausen können. Solche Tabus müssen in Frage gestellt werden. Werden die Deutschen Lebensqualität verlieren, wenn sie langsamer fahren oder mehr öffentliche Verkehrsmittelbenutzen? In Wien zum Beispiel ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit guten und effizienten öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Das Gute Leben ist kein Dogma, sondern gibt spezifische Antworten auf spezifische Probleme. Dass in Deutschland schon 30% der Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, ist ein Beispiel, das Lateinamerika übernehmen könnte.Dann muss die Energiererzeugung dezentralisiert werden, also weg von grossen Wasserkraftwerken hin zu Kleinerzeugern, Sonnenkollektoren auf dem Dach zum Beispiel.
Was passiert mit den Großstädten, ist dort Gutes Leben möglich?
Das ist eines der kompliziertesten Probleme. Einige Städte sind schlicht nicht mehr zu retten, etwa Mega-Agglomerationen wie Mexiko-Stadt, Saõ Paolo oder Städte in Indien und China. Die übrigen müssen wir menschlicher machen, indem wir sie von unten, von den Stadtteilen her denken und organisieren. Indem wir Stadtgärten anlegen zum Beispiel. Dannmüssen wir aufhören, unnütze Dinge anzusammeln. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel besitzen 80% der Haushalte eine Bohrmaschine. Im Schnitt benützen sie sie 13 Minuten. Da wäre es doch viel logischer, wenn sich mehrere Nachbarn eine Bohrmaschine teilen, oder auch eine Waschmaschine oder einen Entsafter. Dadurch entstehen dann auch wieder bessere nachbarschaftliche Beziehungen. All das erfordert neue Organisationsstrukturen. In Ecuador zum Beispiel gibt es mehr Handys als Einwohner. Warum brauchen wir so viele Dinge, die nutzlos sind oder für die wir gar keine Zeit aufbringen, um sie zu geniessen?
Zum einen dürfen wir indigene Gemeinschaften nicht idealisieren. Viele von ihnen sind gescheitert auf ihrer Suche nach einem harmonischen Leben.
Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand freiwillig auf Fernseher, Tablets oder Handies verzichtet. Und für all diese Technologie brauchen wir Mineralien, doch der Bergbau ist einer der grossen Umweltzerstörer weltweit. Wie können wir diesem Konflikt begegnen?
Zum Beispiel, indem wir Nachhaltigkeitsanforderungen an unsere Gadgets stellen. Ein Großteil der modernen elektronischen Geräte haben ein vom Hersteller geplantes Verfallsdatum, den sogenannten programmierten Verschleiss. Das ist pervers, und Frankreich denkt bereits darüber nach, kurzlebige Gadgets mit einer Steuer zu bestrafen. Die Werbung hat uns ausserdem eingetrichtert, wir bräuchten jedes Jahr ein neues Handy. Wieso brauchen dumme Menschen, und da schliesse ich mich ein, jedes Jahr ein noch schlaueres Handy, wenn wir davon höchstens ein Zehntel nutzen? Warum kaufen wir nicht einfachere aber haltbarere Handies? Dann verbrauchen wir auch weniger Rohstoffe.
Sind Elektro-Autos eine Lösung?
Nein, sie sind eine Selbsttäuschung. Zum einen fällt ihre Gesamt-Energiebilanz nicht besonders gut aus, wenn man einrechnet, wie viele Rohstoffe wie z.B. Lithium oder Koltan man für die Herstellung der Batterien braucht. Der Bedarf an diesen Rohstoffen zementiert die kolonialen Ausbeutungsverhältnisse in Afrika und Lateinamerika. Und zum anderen lösen E-Autos nicht das Problem der Mobilität. Wir brauchen weniger, nicht mehr Autos, egal, wie sie betrieben werden. Wir brauchen mehr Platz für Fahrräder, Fussgänger und öffentlichen Nahverkehr und weniger Strassen.
Und wie steht es um saubere, „grüne“ Technologien?
Technologie kann uns helfen, aber sie kann uns auch versklaven. Vor allem, wenn sie der Kapitalakkumulation dient. Und wir müssen verstehen, dass Produkte unsere grundlegenden Probleme nicht lösen. Es gibt keine nachhaltigen Produkte per se, sondern nur einen nachhaltigen Lebensstil oder nachhaltige Produktionsketten.
Es gibt keine nachhaltigen Produkte per se, sondern nur einen nachhaltigen Lebensstil oder nachhaltige Produktionsketten.
Laut ökonomischer Theorie sind Konsum und Profit Motoren der Innovation...
Der Innovation oder der Kapitalakkumulation? Nehmen wir nur die Patente auf Medikamente. Sie verstossen gegen die Marktlogik, weil sie das Unternehmen schützen, das dieses Wissen besitzt und haben den Zweck, Profite zu steigern. Warum schaffen wir Patente nicht ab? Und erfinden andere Mechanismen zur Förderung von Innovation. Menschen werden nicht nur vom Wunsch nach Geld getrieben, es gibt auch das Bedürfnis nach sozialer Anerkennung. Das ist nur eine andere Art, die Welt zu sehen. Und Technologie ist nicht neutral, sie dient bestimmten Interessen. Der österreichische Priester Ivan Illich, hat schon vor Jahren gewarnt, dass die Technik den Menschen entfremdet, weil sie ihrer eigenen Logik folgt und immer mehr nützliche Dinge für immer ungeschicktere Menschen schafft. Wir brauchen Maschinen, ja, aber welche, die wir beherrschen. Also zum Beispiel Traktoren, die die Bauern selber reparieren können.
Wird der internationale Handel dann überflüssig? Wenn wir alles selber regeln, lokal produzieren und überhaupt mit weniger auskommen?
Ja, wir müssen die Produktion wieder lokal anlegen, das ist eine Frage der Logik und des Umweltschutzes. Wir müssen auch darauf verzichten, alle Lebensmittel rund ums Jahr zur Verfügung zu haben. Das erfordert ein Umdenken, Konsumverzicht. In Europa gibt es schon sehr schöne Projekte mit diesem Ziel, zum Beispiel „Null km“ in Spanien. Dabei geht es darum, lokale Lebensmittel zu kaufen...
Das klingt sehr nach Askese. Kann man das denn der Menschheit
schmackhaft machen, oder brauchen wir dafür erst einen neuen Menschen?
Wir müssen uns klar machen, dass die Industrieländer kein Beispiel sind, und dass es nicht möglich sein wird, dass die gesamte Menschheit ein Auto besitzt. Dann müssen wir von dem, was wir haben, ausgehen und darauf neue, nachhaltigere Verhaltens- und Konsummuster aufbauen. Das ist keine akademische Übung, sondern learning by doing, mit entsprechenden Irrtümern und Neuanfängen. Aber natürlich gibt es bestimmte Konzepte wie Degrowth, also die Theorie von der Wachstumswende.
Die sehr stark kritisiert werden von klassischen Ökonomen ...
Die Ökonomie hat alle anderen Wissenschaften kolonisiert, und es wird Zeit, sie in ihre Schranken zu verweisen. Alle Sozialwissenschaften eifern der Volkswirtschaft nach mit ihren mathematischen Modellen und entfernen sich von ihrem eigentlichen Ziel. Der Mensch muss immer über dem Markt und dem Kapital stehen, und auch über dem Staat. Der Staat kann für gewisse Ziele nützlich sein, aber er ist niemals die Lösung. Und der Markt, sagte schon der Soziologe Karl Polanyi, ist ein guter Diener aber ein miserabler Herr. Die Welt hat genügend Ressourcen für alle, aber nicht genug, um die Gier einzelner zu befriedigen. Wir brauchen daher eine gerechtere Umverteilung des Reichtums.
Wie könnte so eine Umverteilung aussehen?
Das fängt dabei an, die Verschwendung zu bremsen. Laut der Welternährungsorganisation gehen jedes Jahr 1,3 Millionen Tonnen Lebensmittel verloren. Davon könnte man zwei Milliarden Menschen ernähren. Und dann produzieren wir Lebensmittel, um Kühe zu mästen oder Autos mit Agrosprit zu betreiben. Dafür brauchen wir riesige Monokulturen mit genveränderten Organismen und dazu passenden Pestiziden. Dadurch verlieren wir enorme Vielfalt. 85% der Menschheit ernährt sich von nur fünf Tier- und zehn Pflanzenarten. Und die Lebensmittelproduktion ist wie das Öl und andere Ressourcen ein Spekulationsobjekt, das an Börsen gehandelt wird. Auf den Terminmärkten in Chicago und London werden Ernten verkauft, die noch nicht einmal ausgesät wurden. 70% des Getreides auf der Welt unterliegt dieser Spekulation, die zur Gewinnmaximierung dient, nicht dazu, die Menschen zu ernähren.
Alternative Lebensmodelle sind bislang Randerscheinungen geblieben. Sie selbst haben als Präsidentschaftskandidat mit einer entsprechenden Plattform gerade einmal 5% der Stimmen bekommen. Wird diese Theorie jemals mehrheitsfähig?
Das ist unsere grosse Herausforderung. In Ecuador erhielt die Verfassung, die kollektive Rechte, das Gute Leben und Wasser als Grundrecht verankert sowie genetisch manipulierte Organismen verbietet, in einer Volksabstimmung die Unterstützung von 82% der Bevölkerung. Aber die Tatsache, dass diese Rechte in der Verfassung stehen, bedeutet nicht, dass sich die Realität nun auf einen Schlag verändert hat. Unsere Aufgabe ist schwierig, aber wir dürfen nicht aufgeben.
Acostas Bücher sind teilweise auch auf deutsch erhältlich so z.b. Buenvivir, vom Recht auf ein gutes Leben (2015 oekonom-Verlag). Zusammen mit dem Postwachstums-Ökonomen Ulrich Brand hat er „Radikale Alternativen“ veröffentlicht. Auf dem Klimagipfel 2021 war er Richter beim Tribunal der Rechte der Natur. Dabei ging es um die Bedrohung des Amazonas-Regenwaldes und um falsche Lösungen für die Klimakrise.