Stadt-
Guaraní
Ihre Vorfahren waren einst unbestrittene Herren über Tekoa Itakupe. Heute liegt die Guaraní-Siedlung am Rande von Saõ Paulo und droht, von der Grossstadt verschlungen zu werden. Über 500 Jahre lang Erfahrung haben die Guaraní mit Widerstand gegen Invasoren.Ihre neueste Waffe: Hip-Hop
von Charlotte Eichhorn
aus
Text: Sandra Weiss
"Ich bin des Weinens müde.
Die Geschichten der Vergangenheit lassen mich bluffen.
Ein weiteres Kind starb im Morgengrauen.
Wo ist die Lösung für die Säuglingssterblichkeit?
Ohne Krieg und ohne Kampf wollen wir einfach nur leben.
Ist es so schwer zu verstehen?“
© Oz Guaraní
Jefferson ist in der Tat etwas schwer zu verstehen. Das liegt aber nicht an den Versen aus dem Lied 'Conflicts of the past' seiner Hip-Hop-Gruppe Oz Guaranís, sondern am Lärm von der nahen Stadtautobahn.
Eigentlich gehören der indigenen Gemeinde von Tekoa Itakupe, zu der auch Jefferson zählt, 533 Hektar des Indigenen Territoriums von Jaraguá, zwischen den Gemeinden São Paulo und Osasco.
Es ist eine der wenigen grünen Stadtrandregion – dafür haben die Indigenen gesorgt, die den Atlantischen Regenwald schützen, der im Rest Brasiliens schon nahezu verschwunden ist.
In Jaraguá leben rund 1000 Menschen in fünf Dörfern.
Die Guaraní, die seit der portugiesischen Eroberung niedergeschlagen, diskriminiert und in immer kleinere Gebiete abgedrängt werden, haben sich dort eine kleine Oase geschaffen:
Es gibt ein Gebetshaus (Nimungarai), eine Gesundheitsstation, ein Zentrum für indigene Bildung und Kultur (CECI), eine städtische Schule mit 170 Kindern und die Djekupe Amba Arandy Schule für Grund-, Mittel- und Erwachsenenbildung.
Und vor allem gibt es noch Wald, viel Wald, ohne den die Guaraní nicht leben können. Doch das freie Terrain hat in den letzten Jahren an Wert gewonnen, insbesondere für den Wohnungsbau, Tourismus und Forstwirtschaft.
Immobilienspekulanten haben ein Auge auf die Gegend geworfen. Einflussreiche Unternehmer und Politiker haben erreicht, dass das Justizministerium 2017 die Grenzen von Jaguará aufhob – angeblich, weil damals bei der Einrichtung formale Grundsätze nicht beachtet worden waren. Das gefährdet die Zukunft der Dörfer und das Naturschutzgebiet.
Es ist nicht das erste Mal, dass wirtschaftliche Interessen sich über indigene Rechte hinwegsetzen. Ende des 16. Jahrhunderts wurde das Gebiet zur Goldgewinnung ausgebeutet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als das Gold erschöpft war, nutzten Kaffeebarone das Land.
Danach kaufte die Regierung des Bundesstaates São Paulo die damalige Finca Jaguará und errichtete darauf schliesslich 1961 einen Stadtpark, der mit Eukalyptus und Kiefern aufgeforstet wurde. Ausserdem wurden zur besseren Anschliessung der Peripherie ans urbane Zentrum von Sao Paulo zwei Autobahnen gebaut.
"Als diese Portugiesen ankamen,
töteten sie meine Verwandten.
Und hier sind wir nun, bewusste junge Leute.
Wir sagen euch, dass ihr anders sein könntet.
Ohne Krieg und ohne Kampf wollen wir einfach nur leben.
Ist es so schwer zu verstehen?
Wir wollen, dass das Land überlebt,
Kultur und Bräuche, die wir einfach behalten wollen"
© Oz Guaraní
Ein Teil des Parks ist der Öffentlichkeit zugänglich, der Rest wurde den Guaraní zugeschlagen. Diese machten sich daran, die Überreste des Atlantischen Regenwaldes zu retten und nach und nach die ursprüngliche Vegetation wieder zu etablieren.
„Eukalyptus und Kiefer verbrauchen Wasser in grossen Mengen“, erzählt Jefferson. „Unsere Lebensweise im Einklang mit dem ursprünglichen Wald hingegen garantiert den Erhalt der Wasserläufe.“ Den Guaraní gelang es so, Wildbienen und viele einheimische Pflanzen wieder anzusiedeln.
„Wir sind die Hüter des Waldes“, sagt der junge Hip-Hoper.
Doch das wird immer schwieriger. 2016 konzessionierte die Regionalregierung grosse Waldflächen an private Unternehmen zur Ausbeutung von Holz, Harz und für Tourismus. Die Guaraní legten dagegen juristisch Einspruch ein – doch die Investoren wollen nicht warten und schaffen Fakten.
Ausschnitt eines Beitrages nano / 3sat
© TV- Globo
© twitter @lais_hmota93
Im Februar 2020 wurde ein ca. 70 Hektar grosses, auch von den Guaraní beanspruchtes Terrain, in einer Nacht- und Nebelaktion von einer Baufirma abgerodet. Dort sollen elf Wohntürme mit 2000 Wohnungen entstehen. Mit einer Mahnwache stoppten die Guaraní zwei Monate lang die Bauarbeiten, bevor sie aufgaben.
Mitte Juni 2020 wurde der Wald oberhalb von Tekoa Itakupe angezündet. Ihr Friedhof wurde teilweise und die Wasserleitungen komplett zerstört. Die Feuerwahr eilte erst verspätet zur Hilfe und zog schnell wieder ab, angeblich aus Sicherheitsgründen.
Trotzdem geben die Guaraní nicht auf. Die Jüngeren haben eine neue Form des Widerstands gefunden: Die Musik. Mit Texten und Videos, teils auf Guaraní, teils auf Portugiesisch, gewinnen Rapper und Hip-Hoper eine immer grössere Fangemeinde auf youtube und sozialen Netzwerken. Ihre Texte handeln von Öko- und Genozid, von Diskriminierung und der Zerrissenheit zwischen Stadt und Land. So schlagen sie eine Brücke zwischen traditioneller Musik, politischen Engagement und urbaner Lebenskultur und sprechen damit vor allem die jüngere Generation Brasilianer und oftmals entwurzelter Guaraní an.