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Bedrohliche                             Gesetze:
                             in Brasilien 

Brasilien 2021-23: 

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Vorlagen, die Indigene Territorien und Reservate gefährden

Mitte März 2022 wurde ein regionaler Koordinator der FUNAI (Nationale Indigene Schutzbehörde) verhaftet. Der Funktionär, der eigentlich indigene Territorien schützen sollte, hat Land des Volkes Xavante im Staat Mato Grosso an Grossgrundbesitzer als "Leasing-Projekt" vergeben. Das ist kein Einzelfall.

Freunde des rechtsgerichteten Präsidenten Bolsonaro (2019-2022), versuchen schon länger, gesetzlich geschützte Gebiete indigener Völker wirtschaftlich zu erschliessen oder an nationale und internationale Firmen zu verkaufen. Zu diesem Zwecke haben sie mehrere Gesetze ausgearbeitet, die ihr Vorgehen legalisieren sollen.

Vorgeschichte Gesetzesentwurf: "Marco Temporal"

"Marco Temporal" besagt, dass ein indigenes Volk nur dann einen Rechtsanspruch auf sein Stammesland hat, wenn es nachweisen kann, dass es am 5. Oktober 1988, dem Tag der Verkündung der Verfassung, dort ansässig war. Diese Gesetzesänderung würde weit mehr als die Hälfte der brasilianischen Völker betreffen.

Damit würden viele, die schon vor diesem Datum vertrieben wurden, endgültig "enteignet" - zum Beispiel die Guaraní. Aber auch legalisierte indigene Territorien wie das der Xukuru, denen der Staat erst nach 1988 den Zuspruch gab, könnten je nach Auslegung betroffen sein.

Der Entwurf hat eine Vorgeschichte: 2009 reichte im südlichen Bundesstaat Santa Catarina die von Grossgrundbesitzern kontrollierte Regionalregierung eine Enteignungsklage ein, um auf dem indigenen Gebiets des Volkes der Xokleng einen Staudamm zu bauen und benachbarte Latifundien zu vergrössern. Die Xokleng kämpften sich -unterstützt von der Landpastorale - durch die Gerichte. Der Streit landete schliesslich beim Obersten Gerichtshof (SFT). Dessen mehrfach verschobene Entscheidung gilt als richtungsweisend, d.h. sie wird allgemeine Auswirkungen auf indigene Landansprüche in ganz Brasilien haben.

Die Interpretation des komplexen Gesetzentwurfes von Menschenrechtsexpertin Jessica Carvalho Morris:

Jessica Carvalho Morris

Rechtsanwältin

 

ist US-brasilianische Doppelbürgerin, Juristin, Wissenschaftlerin und Menschenrechtsanwältin. Sie war über 10 Jahre lang als Geschäftsführerin von gemeinnützigen Organisationen in den USA und in Brasilien tätig- auch für Amnesty International.

Derzeit promoviert sie im Bereich Menschenrechte am Zentrum für Sozialstudien der Universität Coimbra, Portugal.

https://www.opendemocracy.net/es/author/jessica-carvalho-morris/

Jessica Carvalho Morris

2002

2002

dringend "Marco Temporal" aufzulösen

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Im Herbst 2021 wurde vom Obersten Gericht ein Urteil erwartet. Doch der Gerichtshof vertagte sich auf unbestimmte Zeit.

Jessica Carvalho Morris ist besorgt. Der momentane Vorsitzende des Obersten Gerichtshof, Edson Fachin, ist zwar auf Seite der Indigenen, aber Bolsonaro ernannte zwei seiner Anhänger in das höchste Richtergremium. Von den 11 Richtern, die vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt werden, gelten vier als konservativ, besonders die jüngeren Mitglieder. Einmal ernannt, können die Richter bis zum Alter von 75 Jahren im Amt bleiben.

Sende August 2021 demonstrierten über 6000 Indigene in der Hauptstadt Brasilia gegen das Vorhaben. Sie gerieten dabei teilweise mit Bolsonaro -Befürwortern und der Polizei aneinander. Wochenlang blieben ca. 800 Indigene in Zeltlagern, um den Druck zu erhöhen.

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Anfangs 2023:

Im Repräsentantenhaus fordern indigene Führer aus ganz Brasilien 

Nach dem Regierungswechsel im Januar 2023 zu Luiz Inácio „Lula“ da Silva von der linken Arbeiterpartei hat sich der politische Wind zugunsten indigener und traditioneller Völker gedreht. Lula hat die Nationale Indigene Schutzbehörde (Funai) wieder mit Personal und Ressourcen ausgestattet und ein neues Ministerium für Indigene und traditionelle Völker gegründet. Der Kazike Marcos Xukuru wurde Sonderberater der Indigenenministerin Sonia Guajajara.

Der Präsident der traditionellen Völker Carlos Alberto Pinto dos Santos  hat vorgeschlagen, die ca. hundert  Meeres- und Landreservate ("RESEX") zu reorganisieren und den heutigen Bedürfnissen anzupassen.

Allgemeine, zeitgemässe Anpassungen sind auch bei Indigenen Territorien nötig, und ihre Vertreter können diesbezüglich nun direkt Einfluss nehmen auf das entsprechende Ministerium und indigene Abgeordnete.

So trafen sich etwa zweihundert indigene Führer von mehr als 20 Völkern aus ganz Brasilien Ende März 2023 mit der indigenen Abgeordneten Célia Xakriabá um die Abgrenzung ihrer Territorien und den Schutz der Rechte zu fordern, die durch die Bundesverfassung von 1988 gewährleistet sind. 

In ihren Reden kam Besorgnis zum Ausdrück über den Schwebezustand durch das Nicht-Urteil des Obersten Gerichtshofes über den "Marco Temporal". Dadurch schwebt weiter ein Damoklessschwert über ihren Köpfen, und die Rechtsunsicherheit macht die Abgrenzung und Sicherung der indigenen Gebiete im ganzen Land schwierig. Eine schnelle Lösung ist kaum in Sicht, da gewichtige Interessen hinter dem „Marco Temporal“ stecken, die grossen Druck auf alle Institutionen ausüben.

Sept. 2023: Repräsentantenhaus hat "Marco Temporal" verworfen!

Der von der Agrarindustrie lancierte Versuch indigene Gemeinden daran zu hindern Land zu beanspruchen wurde soeben vom Oberste Gericht Brasiliens mit 9 gegen 2 Stimmen als verfassungswidrig abgeschmettert. 

 

Im April hat Lula sechs neue indigene Gebiete ausgewiesen und den Ureinwohnern die exklusive Nutzung der natürlichen Ressourcen garantiert. Diese Schutzgebiete werden von Experten als wichtige Maßnahme gegen die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes angesehen, was eine der größten Herausforderungen im Kampf gegen den Klimawandel darstellt.

Dez. 2023: Kongress hat "Maro Temporal" wiederhergestellt!

Bei einer gemeinsamen Sitzung beider Parlamentskammern stimmten 321 Abgeordnete und 53 Senatoren für die Artikel. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva erlitt eine schwere Niederlage, da sein Veto überstimmt wurde und das Urteil vom Obersten Gericht nullifiziert.

Derzeit ist es noch nicht klar, wie sich die Verfassungskrise zwischen den Gewalten der Legislative, Judikative und Exekutive weiterentwickeln wird. Der indigene Dachverband APIB hat angekündigt, eine Verfassungsklage gegen die Stichtagsregelung "Marco Temporal" im Eilverfahren einzureichen.

Weitere, - noch unerledigte - Gesetzesvorlagen

PL 337wurde im Mai 2022 im brasilianischen Unterhaus eingebracht. Das Gesetz hat das Ziel, den Bundesstaat Mato Grosso juristisch aus der Amazonasregion auszugliedern. Mato Grosso umfasst drei der wichtigsten brasilianischen Biome - den Amazonas, die Cerrado-Steppe und das Sumpfgebiet Pantanal. Bislang gehört er mit weiteren acht Bundesstaaten (Acre, Amapá, Amazonas, Pará, Rondônia, Roraima, Tocantins und Teile von Maranhão) zur Subregion Amazonien.

Damit verbunden sind steuerliche Vorteile, aber auch Umweltschutzauflagen. Zum Beispiel müssen landwirtschaftliche Betriebe auf ihren Flächen 80% Wald stehen lassen und können nur 20% abholzen. Die Agroindustrie argumentiert, dass dies nicht mehr ausreicht, um die wachsende Bevölkerung in Brasilien und auf der Welt zu ernähren. Resistenzen gegen Pestizide und dadurch ausgelaugte und verarmte Böden zusammen mit dem Klimawandel drücken auf die Ernteerträge und die Rentabilität der Sojabarone. Daher drängen sie auf die Erschliessung immer neuer Gebiete.

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PL 490 zufolge können einzelne Bundesstaaten künftig erlauben, indigene Reservate für den Bergbau freizugeben. Betroffen sind zum Beispiel das Territorium des Munduruku-Stammes in Pará, wo Gold gefunden wurde. Bei den Mundurukú fackelten Goldgräber schon vor Inkrafttreten des Gesetzes Häuser von Indigenen ab; bei den Yanomami wurden Kanus mit Kinder gerammt und Dörfer beschossen. Auch die Bundespolizei geriet unter Beschuss der Goldgräber. In der Nähe von Itaipú am Tapajos wird bereits von einer Firma Gold abgebaut. 

 

Im März 2022 nahm der Senat den von der Regierung eingebrachten Gesetzesentwurf PL490 mit 279 zu 180 Stimmen an. Er erlaubt Bergbau in indigenen Schutzgebieten. Auch das Unterhaus hat nun Ende Mai 23 das Gesetz mit etwas weniger als der Hälfte der Stimmen angenommen, und auch Lula kann nichts dagegen  unternehmen. In Brasilia demonstrieren erneut Umweltschützer, Indigene und Künstler und weltweit ist die Reaktion zu der Annahme vernichtend.

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PL 490 ebnet nicht nur Grossgrundbesitzern und Goldgräbern den Weg, sondern erlaubt auch evangelikalen Predigern den Zugang zu Schutzgebieten. Sie kontrollieren eine wichtige Fraktion im Kongress und unterstützen Bolsonaro.

Siehe National Geographic:

Nicht alle Indigenen stehen geschriebenen und un-geschreibenen Gesetzen kritisch gegenüber. Es gibt immer wieder Spaltungen innerhalb der Gemeinden, und manche der Indigenen erliegen den Verlockungen und dem Geld der westlichen Welt.

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Seit 50 Jahren unterstützt die katholische Organisation "Indigener Missionsrat-Cimi" die indigene Bevölkerung.                                                                 (siehe)

Zum 50.Jubiläum hat "Cimi" 2023 eine Kampagne gestartet:

„Wir kommen aus einer sehr dunklen Nacht“, sagte der stellvertretende Sekretär Luis Ventura. „Wir müssen die nächsten vier Jahre nutzen, um voranzukommen. Aber es wird nicht einfach sein. Jetzt ist es an der Zeit, eine Taskforce zu schaffen. Die Macht der indigenen Völker war noch nie so gross wie heute. Wir brauchen eine Strategie.

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