Schmutzige
Politik
Edilberto Gómez:
Bürgermeister
Pichari ist mit 15.000 Einwohnern die wichtigste Stadt und Handelszentrum des VRAEM-Tals.
„Unser Feind war die Guerilla, die Drogenmafia war unsere Verbündete.“
Es gibt keine nennenswerte Industrie, und ausser etwas Kakao, Obst, Honig und Kaffee wird kaum etwas produziert. Fast alles, was die vielen Händler feilbieten, wird aus Lima, Ayacucho und Cusco herangekarrt, die Kartoffeln ebenso wie die Schuhe, die Bose-Lautsprecher und die Beats-Kopfhörer. Apotheken, Tankstellen und Sparkooperativen mit Fantasienamen wie „Haus des Volkes“, „Föderation der Märkte“ oder „Neue Horizonte“ gibt es zuhauf.
In der Kooperative „Johannes Paul II“ bekommt man für eine Bareinlage von 50.000 Soles (umgerechnet 13.000 Euro) sogar ein Moped geschenkt. Die Kooperativen entstanden im VRAEM-Tal, als die Kokabauern in den 90er Jahren nicht mehr hinwussten, wohin mit dem vielen Bargeld. Von dort aus haben sie sich in ganz Peru verbreitet, und erst in den letzten Jahren wurden gegen einige Ermittlungen wegen Geldwäsche begonnen. Die Apotheken und Läden für den landwirtschaftlichen Bedarf verkaufen ihrerseits Unmengen von Ammoniak, Azeton und was sonst noch alles nötig ist für die Kokainherstellung.
Das Rathaus von Pichari hat Arkaden und grosse, verspiegelte Scheiben, die orangerot schimmern. Eine Ästhetik, die eigentlich aus dem andinen Hochland stammt, und mitten im feuchtwarem Regenwald deplatziert wirkt. Auf dem Platz vor dem Rathaus, wo sonst üblicherweise bronzene Heldenstatuen an historische Grosstaten erinnern, stehen in Pïchari übermannsgrosse, grün gestrichene Kokablätter aus Beton Spalier und huldigen fast trotzig der Quelle des Reichtums dieser abgelegenen Dschungelgegend. Sie stammen aus der Zeit, als die Droge unter einer Schicht Ziegel oder Zement in den Pickups der Stadtverwaltung transportiert wurde. Bis vor kurzem gab es auch noch jedes Jahr ein „Kokafestival“, bei dem Bier in Strömen floss und Musikgruppen aus der Hauptstadt Lima eingeflogen wurden. Das Besäufnis hat Bürgermeister Edilberto Gómez aus Imagegründen aber in „Festival des Regenwalds“ umgetauft. Im Vorzimmer des Bürgermeisters hackt eine blutjunge Sekretärin im Minirock amtliche Schreiben in gestelzter Bürokratensprache in den Computer. Von der Wand blättert trotz der auf Kühlschranktemperatur arbeitenden Klimaanlage der gelbe Putz.
Gómez ist ein jovialer Berufspolitiker mit Bauernschläue, der gleich zu Beginn mit vertraulicher Offenheit zu punkten versucht: „Im Bürgerkrieg haben wir uns alle mit dem Kokaverkauf über Wasser gehalten. Es gab ja keinen Markt für legale Produkte“, räumt der 50jährige ein. „Unser Feind war die Guerilla, die Drogenmafia war unsere Verbündete.“ Gómez ist als „Loco Edy“, der verrückte Edy bekannt, seiner weit verzweigten Familie gehört eine der „Firmen“, die den Drogenhandel kontrollieren. Gómez‘Vetter Oscar alias „Turbo“ sitzt deshalb im Gefängnis; der Bürgermeister selbst wurde 2009 mit einem Pickup aus der Drogenflotte seines Vetters erwischt – ein Prozess wurde aber nicht eröffnet. Inzwischen verdient er sein Geld mit Tankstellen.
Trotzdem hat er die Zahlen flott parat: “Bis heute gibt es kein Produkt, das so rentabel ist wie das Kokablatt. Für Kakao braucht man Bewässerung und hat nur eine Ernte im Jahr. Das Kokablatt kann man dreimal ernten und man bekommt einen sechsmal höheren Preis dafür“, erklärt Gómez.30 Jahre Schlendrian seien eben nicht so schnell zu ändern, sagt er – und schiebt die Schuld auf die Zentralregierung, die kein Geld für Infrastruktur und alternative Produkte herausrücke. „Wenn das Militär hier wirklich anfängt, die Kokastäucher auszureissen, wird die Bevölkerung rebellieren“, warnt er. Seine Steckenpferde sind der Bau eines Flughafens, eines Gefängnisses – „damit die Familien nicht immer so weit fahren müssen, um ihre wegen Drogenschmuggels inhaftierten Angehörigen zu besuchen“ - und die Inbetriebnahme der von der UNO 2008 errichteten, aber kaum genutzten Konservenfabrik. „Das würde Alternativen schaffen und Infrastruktur, deshalb hasst mich die Mafia“, erklärt er. Die Kooperative, die die Konservenfabrik betreibt, sieht das ein wenig anders. Sie vermutet, der gedrungene Mann mit der goldenen Uhr am Handgelenk wolle sich nur noch mehr lukrative Geschäftzweige unter den Nagel reissen.