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Interview mit Carmen Masías,

Vorsitzende der Anti-Drogen-Behörde Devida

(2012-2014 und 2016-2018)

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60 Prozent des Kokains aus Peru geht über Afrika nach Europa.

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Kokabauern - Sandra Weiss
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Wie sehen Sie die Situation im VRAEM-Tal?

 

Es ist die Hochburg des Koka-Anbaus in Peru. Dort werden 54 Prozent der gesamten Produktion angebaut. Und nicht nur das, der Anbau ist auch höchst rentabel. Wir haben dort pro Hektar 120.000 Pflanzen gezählt. In anderen Kokagebieten sind es nur 40.000. Praktisch die ganze Koka im VRAEM dient der Herstellung von Drogen. Das Hauptproblem ist, dass die meisten längst nicht mehr nur arme Kokabauern sind, sondern selbst Kokabase oder sogar Kokain herstellen, weil da die Gewinnspanne viel größer ist.

Wie ist der Drogenhandel im VRAEM strukturiert, welche Kartelle agieren dort und wie?

 

Es funktioniert auf der Basis von Familienclans. Ganze Familien sind in den Anbau von Kokain und in die Herstellung von Drogen verwickelt. Es gibt enorm viele Labors und Kokainküchen. Jeden Monat zerstören die Militärs ungefähr 20 solcher Labors. Die weitere Logistik liegt dann in der Hand mexikanischer Kartelle. Im VRAEM hört man mexikanische Musik und kann mexikanisches Bier kaufen. Es wurden auch mexikanische Killer festgenommen, und wir haben hier Auftragsmorde wie in Mexiko.

 

Wie kommt die Droge denn raus aus dem Tal?

 

Täglich landen auf geheimen Pisten bis zu 6 Kleinflugzeuge. Jedes davon hat eine Kapazität von bis zu 300 Kilogramm. Die meisten Flugzeuge kommen aus Bolivien. In Santa Cruz gibt es zwei, drei Flugschulen, wo die Piloten 30.000 Dollar für einen Dreimonats-Crashkurs zahlen. Sie trainieren ausschließlich für Dschungelflüge nach Peru. Bolivien ist nicht nur ein Transitland, sondern dort wird auch weiterverarbeitet.

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Wohin geht es dann weiter?

60 Prozent des Kokains aus Peru geht über Afrika nach Europa. Der Rest teilt sich zwischen den USA und Brasilien auf. In den USA ist der Konsum von Kokain zu Gunsten von synthetischen Drogen stark zurückgegangen, aber noch immer sind die USA der größte Kokainkonsument weltweit. Brasilien ist der zweitgrößte Abnehmer. Weitere Lieferanten sind neben Peru Bolivien und Kolumbien.

Bolivien hat jetzt ein Gesetz beschlossen, wonach mutmaßliche Drogenflugzeuge abgeschossen werden dürfen. Wieso macht das Peru nicht auch?

Früher war das möglich, aber 2001 gab es einen tragischen Zwischenfall, als versehentlich ein Kleinflugzeug mit US-Missionaren an Bord abgeschossen wurde. Das gab enorme Proteste, und wir ratifizierten danach diverse Abkommen, die uns das verbieten und zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichten. Ich persönlich halte es auch für effektiver, ein Drogenflugzeug zum Landen zu zwingen und den Piloten festzunehmen. Denn dadurch bekommen wir mehr Hinweise auf die Hintermänner.

Und wie viele zwingen Sie zum Landen?

Sehr wenig. Unsere Sicherheitskräfte haben kein Geld, und das bergige Terrain ist schwierig zu kontrollieren. Auch deshalb, weil dort Reste der Guerilla des Leuchtenden Pfades aktiv sind. Sie stehen heute im Dienst der Drogenkartelle und sind sozusagen deren bewaffneter Arm. Es ist also für die Polizei gefährlich, dort zu operieren, und es gibt immer wieder Tote nach Scharmützeln.

Wieso bekommen die Sicherheitskräfte nicht mehr Geld? Besitzt die Bekämpfung des Drogenhandels keine politische Priorität?

Doch, der Präsident hat den festen Willen, mit dem Terrorismus und dem Drogenhandel Schluss

zu machen. Perus Wirtschaft wächst erst seit ein paar Jahren, und dann haben wir eine enorme Bürokratie, die die Ressourcen verschlingt. Einen Helikopter zu kaufen, dauert manchmal Jahre. Wir brauchten dringend eine Staats- und Verwaltungsreform. Außerdem ist auch Korruption ein Problem. 

Eine Aufgabe des Militärs ist es, die Kokapflanzen auszureißen. Wie weit sind Sie damit im VRAEM?

Wir haben damit noch nicht angefangen. Es gibt innerhalb der Bürokratie eine Debatte, ob man zuerst ausreißen und dann Projekte anfangen soll, oder zuerst Projekte bringt und danach ausrottet. Aber für mich ist ganz klar, dass auf jeden Fall ausgerottet werden muss. Das hat uns die Erfahrung in anderen Tälern gelehrt. Und wir können nicht warten, bis die Kokabauern von sich aus nach unserer Intervention rufen, denn das passiert nie.

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Was machen die Militärs und die Polizei denn jetzt im VRAEM?

Sie verhaften Schmuggler, heben Labors aus oder zerstören Landepisten. Doch da gibt es das Problem, dass die Bevölkerung nicht den Staat, sondern die Kartelle unterstützt. Als die Sicherheitskräfte in Samugari  Labors ausheben wollte, wurde sie von der Bevölkerung mit Steinen und Schrotflinten empfangen. Um ein Blutbad zu vermeiden, zogen sich die Sicherheitskräfte zurück. Wenn die Polizei eine Landepiste zerstört, wird sie in einer Woche woanders von der Bevölkerung neu angelegt.

Die Bevölkerung ist also Komplize der Drogenkartelle?

Nicht alle, aber viele. Und sie beeinflussen die anderen. Im VRAEM arbeiten wir mit 15 Bürgermeistern zusammen. Sie legen uns Projekte vor, die wir dann technisch unterstützen und für die wir Finanzmittel beantragen. Die Bürgermeister stehen aber sehr unter Druck der Kokabauern, die keine Projekte vom Staat wollen. Der Bürgermeister von Samugari zum Beispiel hat deshalb erst unser Geld abgelehnt. Ein anderer Teil der Bevölkerung wollte aber unser Projekt, und so konnten wir ihn zum Glück nochmals umstimmen.

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Was hat die Koka denn an Entwicklung gebracht?

Im VRAEM sieht man nichts. Dort gibt es riesige Armut, keine Infrastruktur, keine Wasser- und Abwasserversorgung. In den Koka-Anbaugebieten war der Staat über Jahrzehnte hinweg praktisch abwesend. Die Ärmsten würden von einer alternativen Entwicklung wirklich profitieren. Aber erst einmal muss das Vertrauen zum Staat geschaffen werden.

Wie überzeugen Sie die Bevölkerung davon, dass eine Kooperation mit dem Staat besser ist als mit der Drogenmafia?

In anderen Kokatälern Perus haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, erst einmal den Menschen Ausweise auszustellen. Denn die meisten dort sind nicht registriert! Zum einen, weil Ämter oft eine Tagesreise entfernt sind, zum anderen aber auch, weil die Menschen kein großes Interesse haben, wenn sie illegal tätig sind. Sobald die Leute einen Ausweis haben, können sie zum Beispiel Sozialhilfe beantragen. Ein anderes Erfolgsrezept ist die Vergabe von Landtiteln. Damit schafft man Rechtssicherheit, und die Bauern können planen und Kredite aufnehmen. Dann müssen wir die Böden regenerieren, die nach 20,30 Jahren Koka-Anbau völlig ausgelaugt sind. Erst danach fangen wir an mit Biogärten und Bananenplantagen, die recht schnell Früchte tragen, und danach mit Kakao und Kaffee, die etwas länger brauchen.

Aber das bringt doch lange nicht so viel wie die Koka. Gibt es da nicht noch andere Anreize?

 

Die Drohung mit dem Ausreißen der Kokasträucher ist natürlich eine Motivation. Eine andere sind die Kinder. Im VRAEM arbeiten viele Kinder als Schmuggler für die Mafia. Sie transportieren zwei, drei oder auch zehn Kilogramm im Rucksack aus dem Tal. Viele davon werden erwischt; die Gefängnisse sind voll von ihnen. Andere werden unterwegs umgebracht. Meistens bei Abrechnungen verfeindeter Mafiagruppen. Die Eltern wollen eine bessere Zukunft für ihre Kinder.

 

Funktioniert das denn?

Ja. In der Region von Monzón haben wir mit 41 von 100 Bauerngemeinschaften gearbeitet. Davon fing nur eine wieder an, Koka anzubauen, hat aber auf Druck der anderen gleich wieder damit aufgehört. Das ist ein besonderer Erfolg. Im Schnitt werden 50 Prozent der vernichteten Kokafelder neu angelegt.

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Und im VRAEM: Wie viel Geld haben Sie dort bisher investiert und in was?

Im Jahr 2013 haben wir 32 Millonen Soles (8,6 Millionen Euro) transferiert, vor allem für den Strassen- und Brückenbau oder alternative Produkte wie Kaffee. Dieses Jahr haben wir 22 Millionen Soles zur Verfügung. Insgesamt hat diese Regierung 900 Millionen Soles (rund 500 Millionen Euro) im VRAEM investiert. Aber wir sind nur Mittler. Verantwortlich für die Entwicklung des VRAEM ist ein vom Präsident eingesetzter Offizier, zusammen mit einem Admiral.

Mit welchem Ergebnis?

Es gibt keinen einzigen Hektar weniger Koka. Wir haben zuletzt 20.000 Hektar gezählt. Es ist nicht nur eine Frage des Geldes. Gerade in den reicheren Gemeinden ist wenig Entwicklung und umso mehr Koka zu sehen.

Weshalb gibt es trotz so vieler staatlicher Hilfsprogramme weiterhin so viel Koka? Weshalb wurde im größten Kokatal bisher nicht mit der Ausrottung begonnen? Korruption? Mischen die Politiker und die Militärs im Drogengeschäft mit?

Da gibt es viele Hypothesen. Ich möchte darüber nicht spekulieren.

Aber das ist doch eine Realität. Immer wieder werden Bürgermeister, Regionalpräsidenten, Abgeordnete mit der Drogenmafia in Verbindung gebracht oder sogar deshalb verhaftet.

Was wird unternommen, um die Infiltration des Drogenhandels in die Politik zu verhindern?

 

Bei der letzten Regionalwahl präsentierten sich 100.000 Kandidaten. Es ist sehr schwierig herauszufinden, wer da mit dem Drogenhandel zusammenhängt. Die Wahlbehörde zusammen mit der Zivilgesellschaft versucht inzwischen, Filter zu etablieren. Aber in Peru gibt es überall die Mafia, auch in der Bauwirtschaft, auch in den Immobilien. Darin sind Politiker und ihre Angehörigen verwickelt. Im VRAEM gibt es dutzende von Kreditkooperativen. Man kann sich zu Recht fragen, was sie in so einer armen Region machen und weshalb sie einer armen Bäuerin ohne Sicherheiten 100.000 Euro leihen?  

 

Es wäre logisch, danach zu fragen und vielleicht eine Geldwäsche-Untersuchung anzustellen.

In Peru ist nicht immer alles logisch.

Die Europäische Union hat ein großes Hilfspaket für die Drogenbekämpfung angekündigt. Wofür ist das Geld?

Die EU hat ihre Hilfe von 24 auf 44 Millionen Euro fast verdoppelt. Ein Teil davon fließt in Projekte der alternativen Entwicklung, ein anderer in Prävention und Behandlung von Drogenabhängigen, da sind wir 100 Jahre hinterher. In Peru gibt es 100.000 Drogenabhängige und 700 Behandlungsplätze. Das ist ein Riesenproblem. Wir haben in allen Regionen ambulante Behandlungsplätze geschaffen und Ärzte ausgebildet. Wir wollen Rehabilitationszentren  legalisieren und auf Standards zu verpflichten. Die bislang registrierten Zentren werden kaum vom Staat überwacht. Manche sind der reinste Horror.

Die EU müsste doch daran interessiert sein, den Drogenfluss zu stoppen. Gibt es kein Geld für die Sicherheitskräfte?

Doch, die EU unterstützt auch die Ausbildung der Polizei und die Bekämpfung der Geldwäsche. Das Schwierigste ist die Koordination zwischen Polizei, Militär und zivilen Behörden. Hier will sich jeder alleine den Erfolg ans Revers heften, statt den Drogenhandel als Bedrohung für das ganze Land zu sehen, die man nur gemeinsam abwenden kann.

Worauf warten Sie dann noch im VRAEM? Wann geht es los?

 

Irgendwann dieses Jahr.

 

(Mitte 2014, kurz danach wurde sie abgesetzt. Ihr Nachfolger hat die Absprachen aufgehoben).

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