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Saturnino Huamán:

Drogenhändler

 

Die Nacht im Dschungel von Peru bricht ohne Vorankündigung an. Wo gerade noch der Fussballplatz von Puerto Mayo zu sehen war, ist es nun rattenschwarz.

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„Wir haben uns ans schnelle Geld gewöhnt, alle hier.

Irgendwo dahinter liegt der Apurímac-Fluss, doch sein Rauschen geht unter im laustarken Gezirpe der Zikaden. In den 80er und 90er Jahren war Puerto Mayo der Hauptumschlagplatz für Drogen. Am flachen Ufer, wo heute Fussball gespielt wird, landete jeden Tag ein Kleinflugzeug – unter den Augen aller.

 

Saturnino Huamán war dick mit im Geschäft. Die meisten seiner Kompagnons sind längst fort, das feuchte Tropennest ist kein Ort, an dem man länger verweilt als unbedingt nötig. Huamán ist hier gross geworden und ist geblieben. Von der Veranda seiner Holzhütte blickt er auf den Fussballplatz. „Ich mag den Dschungel“, murmelt der 60jährige.

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Es ist schwül. Eine nackte Glühbirne vor seiner Holzhütte ist das einzige Licht in der Finsternis. Sie zieht Schwärme von Moskitos an. Huamán verscheucht die lästigen Biester mit einer unwirschen Handbewegung, wenn sie seinem wettergegerbten Gesicht zu nahe kommen. „Don Sato“, wie er im Volksmund genannt wird, hat keinen Besuch erwartet. Zuerst ist er unentschlossen, dann dreht er sich wortlos um und gibt den Weg frei in seine bescheidene Bleibe, die an Wochenenden als Bar fungiert. Doch unter der Woche sind die abgewetzten Billiardtische mit Planen bedeckt. Einen davon benützt Huamáns Nichte für Bastelarbeiten.

 

„Don Sato“ nimmt auf einem weissen Plastikstuhl Platz. Seit einem Sturz vor zehn Jahren ist sein Bein verkrümmt. Er braucht einen Stock, und lange gehen oder stehen ermüdet ihn. „Das war in den 60er Jahren noch anders“, erzählt der 58jährige. „Wir kamen mit einem Einbaum, die ganze Familie, sechs Geschwister.Eine Strasse gibt es erst seit 14 Jahren.“ Die Regierung hatte nach einer Landreform der bitterarmen Familie aus dem Hochland 28 Hektar im Dschungel übergeben. Es war fruchtbares Land; die Huamáns bauten Kakao und Cashew-Nüsse an. Doch Anfang der 80er Jahre begann die maoistische Guerrillaorganisation Leuchtender Pfad ihren Vormarsch. Schutzgelderpressungen, Zwangsrekrutierungen, Massaker, Überfälle. Der Staat hatte dem nicht viel entgegenzusetzen. „Einen einzigen Hubschrauber hatte die Armee damals hier“, erinnert sich Huamán.

 

Wegen der ständigen Gefechte blieben die Felder unbestellt, kein Transporteur wollte die gefährlichen Dschungelpisten mehr fahren. Die Reichsten flohen, die Zurückgebliebenen organisierten sich verzweifelt in Selbstverteidigungsgruppen. Woher das Geld für die Waffen kam? Huamán lacht: „Die Kolumbianer haben gut bezahlt für unsere Koka.“ 1992 fand eine legendäre Sitzung statt. Alle waren dabei, die Anführer der Selbstverteidigungsgruppen, der Militärkommandant, der Polizeichef, die Bürgermeister und die 15 Chefs der „Firmen“, wie die Zwischenhändler heissen, die den Bauern die Kokablätter abkaufen und daraus Kokapaste für den Export herstellen.„Bei dem Treffen wurde beschlossen, dass die Firmen 10% ihres Umsatzes unter den Anwesenden verteilten, die damit den Krieg gegen die Guerilla und die Entwicklung der Region finanzieren sollten.” Die „Steuer“ wurde im Protokoll verbucht als „Beitrag des Händlers Nr. 2“.

„Da begann der Tanz der Millionen“, schmunzelt Huamán.

„Da begann der Tanz der Millionen“, schmunzelt Huamán. Das weisse Pulver schwemmte eine Menge Geld in die Kassen der Bürgermeister, der Sicherheitskräfte und der Selbstverteidigungsgruppen. Huamán konnte seine Kinder zum Studieren in die Hauptstadt schicken, ihnen eine Wohnung und ein Auto kaufen. Es war sein Traum vom gesellschaftlichen Aufstieg.

 

Doch Ende der 90er Jahre wurde die Guerilla besiegt. „Die Regierung liess uns wissen, dass wir nun aufhören sollten mit der Koka und drohte mit der Ausrottung der Plantagen. Um uns unter Druck zu setzen, verboten sie die Frischwarentransporte in die Hauptstadt angeblich aus hygienischen Gründen, und der Benzinverkauf wurde rationiert“, echauffiert sich Huamán gerade, als ein Bauern mit scheuem Blick, tiefsitzender Baseballkappe und schmutzigen Hosen im Türrahmen auftaucht. „Einen Moment“, entschuldigt sich Huamán, humpelt mit seinem Stock zu einem Billardtisch, hebt die Plane an, zieht ein Plastikrohr hervor, saugt kurz daran und lässt eine gelbliche Flüssigkeit in den Plastikkanister des Bauern fliessen.

 

Das Benzin ist noch immer rationiert, denn es ist nicht nur Treibstoff, sondern ein wichtiger Bestandteil bei der Herstellung von Kokapaste. Als Huamán fertig ist und von dem Bauern ein paar Soles kassiert hat, hebt er seine Baseballkappe, kratzt sich am Kopf und fügt nach kurzem Schweigen hinzu: „Wir haben uns ans schnelle Geld gewöhnt, alle hier. Die Militärs verkaufen sogar das Kerosin ihrer Hubschrauber. Und der Bürgermeister, der kam hier an als armer Schlucker. Inzwischen ist er der Tankstellenkönig. Die Regierung hat kein Interesse daran, dass das hier aufhört. Wir haben Kampagnen von Abgeordneten finanziert. Und die Leute hier halten die Klappe, denn so schlecht geht es uns allen nicht.“

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Der deutsche Dokumentarfilm Coca buena, coca mala hat die peruanische  Antidrogenpolitik ebenfalls beleuchtet und war im VRAEM:

https://www.fes.de/referat-lateinamerika-und-karibik/artikelseite-lateinamerika-und-karibik/coca-buena-coca-mala-die-drogenproduktion-in-peru 

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