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Kondome für Nicaraguas
       Sexarbeiterinnen

von Sandra Weiss

aus

"Wir sind halt Männer”

- Latino-Machos und der schwierige Vormarsch der Kondome

16 Uhr, Frauenzentrum. Marvin Bustos holt das Motorrad aus der Garage. Die “Motosex” mit ihrer leuchtend orangenen Tansportbox, den aufgemalten lustigen Kondomen, dem knalligen rosa Frauensymbol. Damit fällt er auf, proviziert Reaktionen – genau das, was er will. Die Sonne steht schon tief um diese Zeit in den Tropen. Die richtige Uhrzeit, um seine Tour durch die halbseidenen Etablissements der nicaraguanischen Provinzstadt zu beginnen. Jeden Tag fährt der Sozialarbeiter eine andere Strecke, fünfmal die Woche. 

16.20 Uhr, Viertel Las Torres, hinter dem Markt. Ein schmuddeliges Armenviertel aus halbfertigen Häusern, zugemüllten, schlaglochübersäten Pisten und Wellblechhütten. Eine namenlose Eckkneipe und Billiardbar. Die zwei Türen über Eck stehen sperrangelweit offen, damit ab und zu ein Lufthauch die stickige Luft aufwirbeln kann. Hinter der Türschwelle beginnt die Welt der Männer. Ein halbes Dutzend zwischen 18 und 50, mit Queues in der Hand. Eine nackte Glühbirne beleuchtet die Szenerie. Laut wird gefachsimpelt, dazwischen ein tiefer Zug aus der Bierflasche genommen. An der Decke ist ein alter Farbfernseher montiert. Das Bild flimmert. Es läuft eine schnulzige Seifenoper, doch der schenkt niemand Beachtung. 

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“Hey, die Gummis kommen”, ruft einer, der Marvins Motorrad  erspäht hat. Alle nehmen ihre Ration Kondome in Empfang. Den Rest der Packung bekommt Wirt Ronald Dávila in Verwahrung. “Die teile ich aus. Die Jungs hier im Viertel wissen schon, dass sie sie bei mir kostenlos bekommen”, erzählt der 53jährige. Er selber? Nein, er habe nie welche benutzt, so ganz ohne sei es doch viel schöner. “Als ich jung war, wusste man davon ja auch nichts, und zum Glück habe ich mir nie etwas eingefangen.

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“Hey, die Gummis kommen.”

Aber die Jugendlichen, die müssen jetzt aufpassen. Viele haben aber kein Geld für Kondome oder wissen nicht wirklich Bescheid. Deshalb macht Marvin da einen exzellente Arbeit. Das mit der Treue und so ist ja ganz nett, aber wir sind halt Männer und wollen auch mal was anderes ausprobieren.” Marvin steht daneben und schweigt. Man muss wissen, wann man wem was sagen kann, erklärt er hinterher. Der Machismo ist in Nicaragua tief verankert. „Aber es ist wichtig, dass auch die Männer Verantwortung übernehmen und sich an Kondome gewöhnen“, sagt der 37jährige.

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17.30 Uhr. In der Nähe des Marktes und des offenen Abwasserkanals. Ein unverputztes Steinhaus mit einer verrosteten Metalltür. Draussen ein handgemaltes Schild “Wir reparieren Fahrräder”. “Hallo!” ruft Marvin in den Hof, ein mehrstimmiges “Hallo Marvin”, tönt ihm entgegen. Mit einer Hunderterpackung Kondome betritt er den trostlosen Innenhof des Bordells. Schlammige Erde, herumbaumelnde Stromkabel, ein abgewetzter Holztisch. Ein improvisiertes Palmdach spendet Schatten. Der Besitzer, ein grobschlächtiger Mann mit nacktem Oberkörper, verzieht sich diskret, als er Marvin erblickt. 

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Auf weissen Plastikstühlen lümmeln sich Nancy, Junior und drei weitere Frauen und Transvestiten. “Das Geschäft ist mau heute”, jammert Nancy. Viel zu wenig, um damit ihre drei Kinder duchzufüttern. Ihr Mann ist ein Nichtsnutz und Alkoholiker, sie selbst ist nur bis zur 5. Klasse zur Schule gegangen und hat trotz monatelanger Suche keine andere Arbeit gefunden. “Als die Kinder weinten vor Hunger, bin ich eben hierher gekommen”, sagt sie mit niedergeschlagenem Blick. 70 Córdobas bekommt sie für jeden Beischlaf. Ohne Kondom schon mal das doppelte. “Manchmal mache ich das”, murmelt sie und wirft einen verstohlenen Blick auf Marvin. Die meisten ihrer Kunden sind verheiratet, leben mit ihr Fantasien aus. “Liebe, das ist eine Illusion”, sagt sie. Und Prostitution ist illegal. Deshalb lebt Nancy ständig am Abgrund, rechtlos, schutzlos, verachtet.

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19 Uhr. Marvin verstaut die Motosex. 450 Kondome hat er heute ausgeteilt und 50 Informationsflyer. Die HIV-Neuinfektionen in Masaya sind laut Statistik zurückgegangen – doch noch immer infizieren sich drei Personen täglich in Nicaragua. Genauso wichtig wie die Kontrolle der Infektionen ist ihm aber etwas anderes. „Jetzt entscheiden die Frauen und nicht mehr der Kunde, ob das Kondom benützt wird oder nicht.“ Ein riesiger Schritt auf dem Weg zu mehr Selbstbewusstsein in der Welt der Machos.

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