Wie der grüne Stahl in Brasilien den
von Sandra Weiss
aus
Bewohnern das Wasser abgräbt
“Früher war das nicht so”, erzählt die Bauersfrau. “Da hatten unsere Flüsse das ganze Jahr Wasser.”
Brasiliens neue Regierung hat die Abholzung am Amazonas verlangsamt. Doch es werden andere Ökosysteme zerstört. Eukalyptus-Monokulturen für die Stahlproduktion graben der Bevölkerung in der zentralbrasilianischen Savanne das Wasser ab. Davon profitiert auch Europa.
25.000 Liter Wasser hat Salete Cordeiro für die nächsten acht Monate. Hundertmal weniger als ein Olympisches Schwimmbecken fasst. Damit muss ihre Familie acht Monate Dürre überbrücken.
Salete Cordeiro wohnt im Vale do Jequitinhonha im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. Das Tal liegt in einer semiariden Region mitten im Cerrado, einer einzigartigen, biodiversen Steppenlandschaft. Dort ging die Regenzeit gerade erst zu Ende. Doch schon jetzt weht der Staub durchs Tal, und der Boden ist hart wie Zement.
Cordeiro kann trotzdem nicht widerstehen. Sie füllt einen Plastikbecher mit Wasser und gießt ihre Lieblings-Sukkulente vor dem Haus. In ein paar Monaten wird dies ein fast unmöglicher Luxus sein.
Kein Wasser fürs Gemüse mehr
“Innerhalb weniger Wochen wurden die ganzen Hügel um unser Dorf platt gemacht”, erinnert sich Cordeiro. Auf den Hügeln stand ursprünglich Gemeinschaftswald, eine gewohnheitsrechtlich verankerte Wirtschaftsform. Er war Schutzgebiet für heimische Flora und Fauna und ein wichtiger Wasserspeicher. Dort wurde in schwammartigen Böden das Regenwasser gespeichert und gefiltert. Dort entsprangen die Flüsse, die die Täler auch in der Trockenzeit speisten. In den Wäldern wuchsen wilde Früchte, dort lebten Gürteltiere, Vögel, Jaguare und der Guará-Mähnenwolf. Noch immer kommen Cordeiro die Tränen bei dem Gedanken an die vielen Tiere, die Hals über Kopf vor den Baggern flüchteten oder überrollt wurden. Doch Protest gegen die Militärdiktatur war zwecklos.
Seit 20 Jahren nichts verändert
Es ist nicht das erste Mal, dass wir über den Wassermangel durch Eukalyptus-Monokulturen im Cerrado berichten. In einer anderen Reportage geht es um den Rio Pardo in der Nähe von Turmalina.
Auschnitt aus einem nano/3sat
Beitrag von 2004
Stadt Turmalina muss die
Wasserzeche zahlen
Der Vorrat in der Zisterne, finanziert von einer lokalen Nichtregierungsorganisation, reicht gerade mal für das Trinkwasser der Familie. Selbst den Gemüsegarten kann die 54-Jährige in der Trockenzeit nicht mehr davon gießen, und Wäsche wird dann nur einmal alle zwei Wochen gewaschen. Trotz aller Sparsamkeit ist sie manchmal auf den Brunnen des Nachbarn oder die Zisternenwagen angewiesen, die die Stadtverwaltung von Turmalina schickt – wenn gerade Geld im Stadtsäckel ist. “Früher war das nicht so”, erzählt die Bauersfrau. “Da hatten unsere Flüsse das ganze Jahr Wasser.” Genug für den Anbau von Lebensmitteln zum Verkauf und für ein paar Milchkühe. Es war kein Leben im Überfluss, aber ein genügsames Dasein, angepasst an die Zyklen der Natur.
Ein Steppenwolf auf der Flucht
Noch immer kommen Cordeiro die Tränen bei dem Gedanken an die vielen Tiere, die Hals über Kopf vor den Baggern flüchteten oder überrollt wurden.
Doch dann brachte ein Projekt der Militärdiktatur dem Jequitinhonha-Tal Eukalyptus-Plantagen. Der in Brasilien nicht heimische Baum wächst schnell und entzieht dem Boden dabei Feuchtigkeit. Der Eukalyptus wird zur Holzkohle verarbeitet für ein Stahlwerk in Timoteo, 140 Kilometer von der Provinzhauptstadt Belo Horizonte entfernt. Die Hochöfen wurden zunächst vom Staat betrieben, um die Importabhängigkeit Brasiliens zu reduzieren.
1992 wurden Stahlwerk und Eukalyptusplantagen privatisiert. Seit 2007 gehört der Stahl- und Plantagenkomplex Aperam South America, einer Tochterfirma des belgisch-indischen Stahlkonzerns Acelor-Mittal. Dieser ist der weltweit zweitgrößte Stahlkonzern und die Tochterfirma mit Sitz in Luxemburg ist Marktführer für rostfreien Flachstahl in Lateinamerika. Aperam exportiert ein Drittel seiner Produktion nach Asien, Europa und Nordamerika und ist seit 2011 an der Börse notiert. 2,5 Prozent des Unternehmens gehören dem Staat Luxemburg.
Während die Aktionäre die Gewinne einstecken und europäische Firmen den Stahl von Aperam kaufen, kämpfen tausende Familien wie die Cordeiros ums Überleben. ”Von 481 Quellen rund um Turmalina haben nach 40 Jahren Eukalyptusbepflanzung nur noch 40 Wasser”, sagt der Vizebürgermeister von Turmalina, Warlen Francisco da Silva. Selbst Lokalpolitiker wie er, die Verfechter des Fortschritts und der industriellen Entwicklung waren, sind inzwischen besorgt über die Folgen der Monokultur. Längst überschreiten die Umwelt- und Infrastruktur-Kosten für die Stadt die 500.000 Reais (93.000 Euro) Steuern, die Aperam jährlich an die 20.000 Einwohner zählende Ortschaft zahlt. Straßen, über die die Holzlaster rattern, müssen regelmäßig instand gehalten werden. In der Trockenzeit kauft die Gemeinde Wasser in umliegenden Regionen und liefert dieses mit Zisternenwagen an Bürger aus, die kein Wasser mehr haben.
Grüne Eukalyptus-Wüste
In den letzten 45 Jahren ist laut einer Studie der Universität von Minas Gerais der Grundwasserspiegel in der Region um 4,50 Meter abgesunken – deutlich mehr als in benachbarten Gegenden. Schuld ist laut den Forschern der Eukalyptus: “Die natürliche Vegetation des Cerrado schafft es, 52 Prozent des Regenwassers aufzunehmen, eine Eukalyptusplantage kommt nur auf 29 Prozen”, hat Flavia Galizoni vom Forschungszentrum für Landwirtschaft der Universität von Minas Gerais ermittelt. Entsprechend höher ist beim Eukalyptus die Verdunstung. Zudem hat die Firma Aperam zahlreiche Rückhaltebecken und Bewässerungsgräben für ihre Plantagen gebaut, um diese zu bewässern und die häufigen Waldbrände zu bekämpfen – Wasser, das dann den Gemeinden fehlt.
Menschenrechte gegen Profitstreben
Aber das Wasser ist nicht das einzige Problem. “Auf 125 Hektar Eukalyptus kommt ein einziger Arbeitsplatz”, hat Galizoni errechnet. Hinzu kommt die Luftverschmutzung durch die Holzkohle-Öfen und immer wieder auftretende Flächenbrände. Außerdem müssen genmanipulierte Eukalyptus-Monokulturen mit Kunstdünger und Pestiziden aufgepäppelt werden, die das Grundwasser und die Luft verschmutzen. Böden und Biodiversität verarmen. “Hier kollidieren Menschenrechte mit dem Profitstreben eines transnationalen Konzerns”, sagt Galizoni.
Nur eigentlich nichts Neues...
Auschnitt aus einem nano/3sat Beitrag von 2004
Wie Stahl grün gerechnet wird
Ein Sprecher von Aperam sieht das ganz anders. Er verweist auf neue Holzkohle-Öfen, mit denen die CO₂-Bilanz verbessert und auf Null sinken soll. „Holzkohle ist besser als fossile Brennstoffe“, sagt Benone Braga.“ Wir verbrennen nicht nur, sondern pflanzen jedes Jahr wieder neue Bäume, die acht Millionen Tonnen CO₂ gebunden haben“, rechnet er vor. Somit ist Eukalyptus ein nachwachsender Rohstoff, die Kohlendioxid-Bilanz ist zumindest im theoretischen Rechenmodell damit neutral.
Ein Sprecher von Aperam bringt den Wassermangel gar nicht mit den Plantagen in Verbindung.
Stolz ist der Jungmanager auch auf das Siegel des Forest Stewardship-Council (FSC), eine NGO, die international wegen Greenwashing in der Kritik steht. Im Internet wirbt die Firma damit für ihren “grünen Stahl” und erhofft sich davon neue Absatzmärkte vor allem in Europa, wo Nachhaltigkeit in den Lieferketten immer mehr gefordert wird.
Doch Nebenwirkungen der Plantagen, wie die Dürre und den Verlust der Biodiversität, fließen nicht in die Nachhaltigkeitsbilanz des Unternehmens ein. Benone bringt den Wassermangel gar nicht mit den Plantagen in Verbindung. Die Dürre sei dem Klimawandel geschuldet, die vielen Waldbrände gingen auf das Konto von Brandstiftern, wiegelt er ab.
Zukunft Wüste
Das findet Galizoni zynisch. “Dieser Stahl ist alles andere als grün. Er hat den Menschen Land und Wasser gestohlen, und ihren Lebensraum vernichtet.” Während Galizoni noch an das Gewissen der Konsumenten appelliert, ist Cordeiro resigniert. Sie glaubt nicht mehr daran, dass sie noch lange widerstehen kann. Von ihren sechs Kindern ist nur ihre 14-jährige Tochter noch zu Hause. Alle anderen sind in die Stadt abgewandert. Doch auch Turmalina hat keine Zukunft, so fürchtet Vizebürgermeister da Silva, wenn es so weitergeht: “Wir können nicht ewig davon leben, die Natur auszubeuten. Dann sitzen wir irgendwann in einer Wüste, während die internationalen Konzerne steinreich geworden sind und einfach weiterziehen.”
Am 1. Januar 2023 trat in Deutschland die zweite Phase des Lieferkettengesetzes in Kraft. Fortan müssen auch schon kleinere Unternehmen ab tausend Mitarbeiterïnnen die Sorgfaltspflichten einhalten und nachweisen, dass Umwelt und Menschenrechte eingehalten werden. Zuvor galt das Gesetz nur für Großfirmen ab 3000 Mitarbeiterïnnen. In Deutschland gilt das Lieferkettengesetz auch für Finanzdienstleister. Da Aperam aber in Luxemburg seinen europäischen Firmensitz hat, greift dort das europäische Lieferkettengesetz – und darin wurde der Finanzsektor ausgespart.
Dann sitzen wir irgendwann in einer Wüste, während die internationalen Konzerne steinreich geworden sind und einfach weiterziehen.”
Die Reportage entstand auf einer Pressereise mit Misereor.