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Machos
                     
austricksen

von Sandra Weiss

aus

Wenn sie im Laden um die Ecke Milch kaufen wollte, musste sie ihren Mann um Erlaubnis bitten.

In mexikanischen, indigenen Gemeinden ist die Emanzipation noch nicht angekommen. 

- Die Frauen finden aber trotzdem gemeinsam Wege!

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Für Paulina Méndez war es die grosse Liebe. Ein flüchtiges Lächeln huscht über das herbe Gesicht der heute 40jährigen. Sie, damals gerade 21, ein schüchternes, in Liebesdingen unerfahrenes Bauernmädchen, das Kunsthandwerk aus Ton fertigte. Er ein junger Mann aus einer angesehenen, traditionellen Familie aus San Bartolo Coyotepec, der Töpferhochburg in Mexikos südlichem Bundesstaat Oaxaca. Sie gingen ein paar Mal zum Tanzen, flirteten ein wenig. Dann hielt Luis um ihre Hand an, ganz traditionell, wie es sich geziemt in diesem indigenen Ort, wo Gebräuche und Traditionen noch so fest verankert sind wie vor 200 Jahren. Die Hochzeit war ein rauschendes Fest, das mehrere Tage dauerte. 

 

“Ich war unheimlich glücklich und malte mir eine rosa Zukunft aus”, erzählt Méndez. Die Hochzeitsgeschenke wurden von den Gästen tanzend und unter dem Applaus aller in die gemeinsame Unterkunft gebracht – eine Wellblechhütte direkt hinter dem zweistöckigen Steinhaus der Schwiegermutter. Auch das ist so üblich in San Bartolo. Die Menschen der Gemeinde sind arm, viele leben vom Handel, von der Landwirtschaft, vom Kunsthandwerk oder vom Recycling des Abfalls von der nahegelegenen Müllkippe. Es reicht gerade so zum Überleben. Geld für ein eigenes Grundstück oder für ein richtiges Steinhaus haben junge Paare normalerweise nicht.

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Zwei Jahre später wurde Sohn Lenin geboren,  dannTochter Alma. Kurz darauf begannen die Probleme. Er begann, das Haushaltsgeld zu vertrinken, blieb oft mehrere Tage weg, verbot ihr zu arbeiten. Wenn sie im Laden um die Ecke Milch kaufen wollte, musste sie ihn um Erlaubnis bitten. Wenn sich Méndez beschwerte, wurde er grob. Er beleidigte und schlug sie. Méndez litt still. So hatte es ihre Mutter vorgelebt, so war sie erzogen. Ein einziges Mal, grün und blau geprügelt, hielt sie es nicht mehr aus. Sie packte ihre Sachen und wollte nur weg. Schwiegermutter Isidra fing sie ab: “Wenn du diese Schwelle übertrittst, gibt es keinen Weg zurück”, beschied sie ihr. 

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Frauen haben unterwürfig zu sein, gehören an den Herd, sind Eigentum ihres Mannes, so der gesellschaftliche Konsens der indigen geprägten Gemeinde. Frauen, die den Mann verlassen, entehren dessen Familie. Frauen, die arbeiten, entwerten den Status des Mannes, der alleine für seine Familie zu sorgen hat. Es ist ein strenges gesellschaftliches Korsett, in das die Geschlechter gepresst werden. Dabei liegt San Bartolo nur eine halbe Stunde Autofahrt von der Provinzhauptstadt Oaxaca entfernt. Die wiederum ist ein Zentrum des internationalen Tourismus und ein Magnet für liberale Kunstschaffende.  Eine andere Welt direkt vor der Haustüre, ein schwieriger Kontrast für indigene Frauen. 

 

2003 wagt es erstmals eine Frau in San Bartolo, unter Berufung auf die Verfassung einen politischen Posten einzufordern. “Sie wurde wüst gemobbt”, erinnert sich Leticia Real von dem vom Adveniat unterstützten Frauenkollektiv “Mujeres al Viento” (Frauen im Wind). Niemand mehr kaufte in ihrem Laden, einmal war nach einer besonders hitzigen Debatte ein Lynchkommando unterwegs. Der Dorfpfarrer konnte damals Schlimmeres verhindern. 2011 erklärten die Männer in der Dorfversammlung dann, Frauen taugten nicht für Ämter. Real und ein paar Mitstreiterinnen des Kollektivs fassten allen Mut zusammen und standen auf. Sie zitierten aus der Menschenrechtserklärung und drohten mit einer Verfassungsklage. Es gelang ihnen, den machistischen Vorstoss stoppen und immerhin ein paar Frauen ins Gremium wählen. Zum Dorfgespött wurden die “aufmüpfigen Emanzen” trotzdem. Reals Ehe zerbrach darüber. “Man braucht ein dickes Fell und einen langen Atem”, seufzt die 47jährige. “Aber wenn man einmal die Augen öffnet, ist nichts wie vorher, und es gibt keinen Weg mehr zurück.”

Ohne Unterstützung von Paula Regueiro von der Frauenorganisation Grupo de Educación Popular con Mujeres (GEM) hätte sie wohl das Handtuch geworfen. “Aber jedes Mal, wenn es besonders schwierig wurde, war Paula für mich da”, sag Real. „Es klingt unglaublich, aber noch immer wissen viele Frauen in Mexiko nicht über ihre Rechte Bescheid“, sagt Regueiro. Sie stammt aus der Hauptstadt und ist Akademikerin sowie eine Feministin der ersten Stunde. Sie glaubt an die Synergie von Akademie und Graswurzelarbeit, an die Vernetzung von Stadt und Land. Derzeit schreibt sie an ihrer Doktorabeit und bringt neue Impulse aus der Hauptstadt nach San Bartolo. Vor sechs Jahren begann sie dort erste Workshops auf Bitte des lokalen Pfarrers José Rentería. Er hatte festgestellt, wie sehr die Frauen unter dem Machismo litten. “Mir als Mann waren aber die Hände gebunden”, schildert er. Daher gründete er eine Frauenpastorale. Real wurde eine der Leiterinnen.

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Frauen haben unterwürfig zu sein, gehören an den Herd, sind Eigentum ihres Mannes, so der gesellschaftliche Konsens der indigen geprägten Gemeinde.

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Orte wie San Bartolo, die an Schnittstellen zwischen Land und Stadt, zwischen indigenen Traditionen und moderner Emanzipation liegen, sind gesellschaftlich besonders heikle Minenfelder. Machismo ist tief verwurzelt in Mexiko. Doch die Modernisierung und wirtschaftliche Öffnung Mexikos seit den 1990er Jahren verschärfte die gesellschaftlichen Konflikte und Gegensätze. Konnten die Männer in San Bartolo ursprünglich von Töpferwaren und Landwirtschaft ganz gut ihre Familien ernähren, wurde das immer schwieriger. Erbteilung verkleinerte den Landbesitz, wegen dem Klimawandel blieb der Regen aus, mangelnde Modernisierung der Landwirtschaft machte die Böden immer weniger fruchtbar und die Ernten immer kläglicher. Wer in der Stadt eine Arbeit fand, dem ging es besser – doch das war nur wenigen beschert, denn viel mehr als Grundschulbildung hatten die wenigsten Männer. 

Der Drogenkrieg ab 2006 heizte die Gewalt an, Waffen zirkulierten. Die Müllkippe, die oberhalb von San Bartolo entstand, lockte Migranten aus der ganzen Region an. Sie besetzten Land rund um die Abfallhalde und errichteten dort aus Wellblech Unterkünfte. Mafiöse Gruppen stritten sich um den Müll. Der Zusammenhalt der Gemeinde bröckelte unter Zwist und Ungleichheit; politische Ränkespiele der Parteien taten ein übriges. Oaxaca wuchs immer mehr und verschlang nach und nach die umliegenden Gemeinden wie San Bartolo. Die schleichende Urbanisierung brachte zwar Infrastruktur, Tourismus und ein wenig Geld. Aber die Frauen hatten davon wenig. Männer versuchten, ihren Frust im Alkohol zu ertränken und wurden aggressive. Frauen wurden immer öfter auch vergewaltigt oder sogar umgebracht. Der Bundesstaat Oaxaca gehört zu den fünf Regionien mit den meisten Frauenmorden. 

Es war der Druck von GEM und vielen anderen Frauenkollektiven, der den Staat schliesslich zum Handeln zwang. Seit 20212 müssen Wahllisten paritätisch sein. Im selben Jahr wurde der Frauenmord als gesonderter Straftatbestand ins Gesetzbuch aufgenommen. Darauf stehen nun bis zu 60 Jahre Haft. Doch zu einem Urteil kommt es selten. Die Hälfte der zur Anzeige gebrachten Frauenmorde bleiben straffrei, haben NGOs ermittelt. Noch weniger erfolgreich sind – mit Ausnahme der Hauptstadt – Anzeigen wegen gewalttätiger Übergriffe oder Unterhaltsklagen. „Die Justiz ist noch sehr machistisch geprägt“, sagt Regueiro. 

Real hat sich daher mit Hilfe von GEM auch juristisch fortgebildet und orientiert nun Frauen, wie sie sich vor Gericht Recht verschaffen können. Wenn nötig begleitet sie sie auf Behördengängen. Mit Yuridia Chávez geht sie auf die Staatsanwaltschaft. Die 37jährige hat zwei Söhne, 13 und elf Jahre alt. Sie hat sich von ihrem gewalttätigen Mann getrennt, nachdem er sie einmal fast zu Tode geprügelt hatte. Das gemeinsam aufgebaute Geschäft für Werkzeuge und Eisenwaren riss er sich unter den Nagel – indem er eines Nachts die Türschlösser austauschte und Bodyguards davor platzierte. Den Unterhalt für die Kinder blieb ihr Mann schuldig. Chávez musste mit zwei Kindern, ohne Geld und ohne Geschäft improvisieren. Jetzt verdient sie ein bisschen etwas mit dem Verkauf von Kosmetika von Tür zu Tür. „Das ist ungerecht. Wir haben beide gleich viel investiert in das Geschäft“, sagt sie. 

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Frauenmord werden nun als gesonderter Straftatbestand ins Gesetzbuch aufgenommen. Darauf stehen nun bis zu 60 Jahre Haft. Doch zu einem Urteil kommt es selten. „Die Justiz ist noch sehr machistisch geprägt“, sagt Regueiro. 

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GEM hat deshalb ganz eigene, lokal angepasste Strategien entwickelt, um die Frauen zu erreichen. Falls der Mann eine Ausgangssperre verhängt, sollten die Frauen sagen, sie gingen zur Pastorale.

Deshalb will sie wenigstens den Unterhalt haben. Die Justiz aber forderte Belege und Bankauszüge, die sie nicht hatte. Ihr Mann bezahlte zwei Anwälte und teilte dem Gericht mit, er sei Taxifahrer und mittellos und könne daher den Unterhalt nicht zahlen.  Die Richterin in erster Instanz gab ihr recht. Chávez kämpft weiter, seit drei Jahren schon, aber jeder Behördengang kostet sie umgerechnet fast 10 Euro alleine an Transportkosten. „Das geht ins Geld, vor allem, wenn man ohnehin nicht viel hat“, sagt sie. Real nickt mit ernstem Blick. „Re-Viktiminisierung“, benennt sie das Phänomen. Es beschreibt Institutionen, die das Opfer nicht schützen, sondern ihm die Schuld an seiner misslichen Lage geben. Offenbar hat das System: „Patriarchalische Justiz“, prangt zumindest in einem Graffiti auf der weissen Wand neben der Staatsanwaltschaft. Zur Anhörung darf Real nicht mit in den Saal – das sei wegen der Coronapandemie nur Anwälten gestattet, sagt ihr der Wachdienst am Eingang. Nach zwei Stunden ist Chávez wieder draussen. Sie lächelt zufrieden. „Die Staatsanwälte haben mich diesmal wenigstens ausreden lassen und mir zugehört.“  Es wurde ein „oficio“ erstellt, eine Akte, die Mexikos Ämter über alles lieben. Der Aktenkrieg ist zweischneidig, denn er bürokratisiert die Prozesse und zieht sie in die Länge. 

Re-Viktiminisierung“, benennt sie das Phänomen. Es beschreibt Institutionen, die das Opfer nicht schützen, sondern ihm die Schuld an seiner misslichen Lage geben.

Regueiro weiss, dass die Frauen an vielen Fronten aktiv werden müssen. Die Zusammenarbeit mit der Frauenpastorale und die lokale Verankerung sind für sie daher ein grosses Plus. “Wenn wir die Sache der Frauen voranbringen wollen, müssen wir Netzwerke im ganzen Land haben”, betont sie. Doch immer wieder gibt es Rückschläge und stossen sie an Grenzen. Gerade die von Gewalt besonders betroffenen Frauen sind schwer zu erreichen. Viele leugnen die Misshandlung oder werden von ihren Männern zuhause eingeschlossen. Andere sind alleinerziehend, arbeiten 12 Stunden am Tag auf der Müllkippe und sind dann zu müde, um abends noch zu Veranstaltungen zu gehen. Trotzdem versuchen Regueiro und Real immer wieder, ihre Arbeit auch dort bekannt zu machen – durch Besuche, persönliche Gespräche und Flugblätter. 

 

Immer wieder müssen sie kreativ sein. Weil viele Frauen ihre Männer um Genehmigung bitten müssen, wenn sie aus dem Haus wollen. “Die wittern natürlich Lunte und verbieten ihren Frauen das”, sagt Real. Sie hat deshalb ganz eigene, lokal angepasste Strategien entwickelt, um die Frauen zu erreichen. Falls der Mann eine Ausgangssperre verhängt, sollten die Frauen sagen, sie gingen zur Pastorale. “Die kirchliche Arbeit ist hier in der Gemeinde so wichtig, dass kaum ein Mann es wagt, sich dem entgegen zu stellen”, zwinkert sie.

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Die meisten Workshops finden daher in kirchlichen Räumen statt. Den Schlüssel zum Versammlungsraum der Hauptkirche hat zwar der männliche Kirchenvorstand, der “immer dann nicht aufzufinden ist, wenn die Frauen eine Veranstaltung haben,”, hat Pfarrer Rentería festgestellt. Aber dafür gibt es Abhilfe durch einen von Adveniat mit finanzierten Kirchenneubau in dem Ortsteil nahe der Müllkippe. Dort gibt es einen kleinen Vorraum, in dem sich die Frauen nun treffen zu ihrem Gesprächskreis. Zwischen elf und 20 nehmen normalerweise teil, über 200 waren es insgesamt in den sechs Jahren Frauenarbeit schon. In dem geschützten Raum können sie ihr Herz ausschütten, ohne Furcht, dass dies dann gleich zum Dorftratsch wird. Regueiro hört zu, bringt manchmal einfühlsam als Moderatorin Probleme auf den Punkt oder regt mit einer Nachfrage Denkprozesse an. Am Schluss nimmt die 51jährige ein blaues Wollknäuel in die Hand und wirft es einer der Teilnehmerinnen zu. Es ist ein interaktives Spiel, mit dem die aufgestauten negativen Energien aufgelöst werden sollen. Nacheinander fangen die Frauen das Knäuel und sagen, welche Eindrücke sie aus dem Treffen mitnehmen. „Hoffnung, Stärke, Erleichterung“, sind ein paar Begriffe.

Méndez halfen die Workshops dabei, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und endlich wieder Kontrolle über ihr Leben und ihre Gefühle zu finden. Es war nicht einfach, sie in die Workshops zu bekommen – aber Real fand eine gute Strategie über die Schwiegermutter Isidra, die ebenfalls an der Frauenpastorale teilnahm. Im vertraulichen Gespräch stellte sich heraus: Auch Isidra war ein Opfer des Machismo, auch ihr Mann hatte getrunken, auch sie wurde verprügelt. Als ihr klar wurde, dass sich dasselbe Schema mit ihrere Schwiegertochter wiederholte, kamen beide ins Frauenkollektiv. “In den Gesprächsgruppen habe ich zum ersten Mal erfahren, dass ich nicht die einzige bin. Das war sehr befreiend”, schildert Méndez. Der Mantel des Schweigens und der Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen wurde gelüftet. 

Méndez nutzte auch das Angebot einer Gesprächstherapie mit der Vertrauens-Psychologin von GEM. “Es hat lange gedauert, aber nach drei Jahren konnte ich mich vor Luis hinstellen und ihm sagen, dass ich wieder arbeiten will”, erzählt Méndez. Er war mehr perplex als verärgert. Dann musst du aber auch die Hälfte der Haushaltskosten übernehmen, entgegnete er. “Ich habe sofort eingewilligt, und fühlte mich so glücklich und frei wie schon lange nicht mehr.” Seither ist sie Vertreterin für Kosmetik- und Reinigungsprodukte und viel unterwegs. Dass sie ihr eigenes Geld verdient, macht sie selbstbewusst. Luis habe aufgehört zu trinken, erzählt sie. Tochter Alma,12, hat den ganzen Prozess ihrer Eltern beobachtet -und selbst Schlüsse daraus gezogen. “Ich habe mehr Freiheiten als meine Mutter und meine Grossmutter”, ist ihr klar. Wenn sich ihr Bruder vor dem Abspülen drücke, ermahne sie ihn schon einmal, dass ihm wohl kein Zacken aus der Krone falle, wenn er ein Geschirrtuch in die Hand nehme, schildert Méndez stolz. Luis, der sich kurz aufs Sofa dazu gesetzt hat, muss jetzt ganz dringend los. Auf dem Sofa zurück bleibt seine jüngste Tochter, die gerade einen Monat alte Yamile. Männer sind unverbesserlich, seufzt Méndez.  “Die Alten vielleicht”, entgegnet Alma. “Aber die Jungs meiner Generation müssen sich schon ein bisschen mehr anstrengen.”

Männer sind unverbesserlich, seufzt Méndez.  
“Die Alten vielleicht”, entgegnet Tochter Alma. “Aber die Jungs meiner Generation müssen sich schon ein bisschen mehr anstrengen.”

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