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© Claire Pattison- Valente

Der Langustenkrieg
    an Brasiliens Küste
(2016-2019)

aus

Brasilien ist 2018 zusammen mit Kuba und Mexiko der wichtigste Langustenexporteur Lateinamerikas.

von 

Sandra Weiss

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​Hinter dem in den USA und Europa begehrten Feinschmecker-Produkt verbergen sich Gewalt, Korruption und Misswirtschaft, was den Langusten den Garaus macht. Ein Fischerdorf kämpft an vorderster Front gegen die Langustenpiraten.

Nachts wagt sich Raimundo Bonfim nicht vor die Türe, und tagsüber verlässt er sein kleines Häuschen mit Blick auf die idyllische Bucht von Redonda nur in Begleitung. Der Langustenkrieg an Brasiliens Nordküste hat schon zu vielen das Leben gekostet, und der 55jährige Rollstuhlfahrer steht auf der schwarzen Liste der Langustenpiraten ganz oben. Das bringt den ehemaligen Mitarbeiter der Umweltbehörde Ibama aber ebensowenig von seinem Kampf gegen die illegalen Fischer ab wie die lähmende Staatsbürokratie.

Welche Mammutaufgabe Bonfim vor sich hat, erahnt man keine drei Kilometer entfernt in der Strandkneipe der Nachbarbucht von Ponta Grossa. Dort steht frische Languste auf der Speisekarte – obwohl gerade Schonzeit ist. Am Strand verstauen ein paar junge Leute hastig die Sauerstoffpumpe und den Gartenschlauch: damit tauchen die Langustenpiraten verbotenerweise nach dem begehrten Krustentier. Erlaubt sind nur Reusen. Sie sind nervös und aggressiv: „Wir müssen schliesslich auch in der Schonzeit von etwas leben“, grummelt einer.“

„Die Piratenboote gehören oft Strohmännern von einflussreichen Politikern und Unternehmern“, erzählt der nun zurückgezogene  Schweizer Umweltaktivist und Sozialunternehmer Rene Schärer. Einstmals ein Swissair-Manager verbringt er an der Küste von Ceará im Fischerdorf Prainha do Canto Verde bei Fortaleza seinen Lebensabend, wo er seit über 30 Jahren lebt. Schärer war der Erste der damals an vorderster Front gegen die Langustenpiraten kämpfte. „Sie heuern junge Leute an, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen“, erzählt er. Manchmal sind sie tagelang auf dem Wasser, bis sie ihr Fangpensum erfüllen. Manche ertragen das nur unter Drogen, andere bekommen wegen der miserablen Ausrüstung und mangelnder Sorgfalt bei der Auftauchzeit  die Taucherkrankheit, die den Körper ganz oder teilweise lähmt.

Oft trennt nur eine Bucht diejenigen, die Gesetze beachten und diejenigen, die sie brechen. Fischer gegen Fischer – das macht die Sache nicht einfacher. Wieder und wieder haben sich die Artesanalfischer des Bundesstaats Ceará, die in hölzernen Nussschalen aufs Meer segeln, bei den Behörden beschwert: weil ihre Reusen gestohlen werden, weil die Fischgründe wie leergefegt sind, weil Boote ohne Lizenz verbotenerweise nach den Langusten tauchen und dabei alles mitnehmen, was ihnen zwischen die Finger kommt – laichende Weibchen ebenso wie viel zu kleine Jungtiere. Langusten wecken Begehrlichkeiten, sie gehen in den Export und bringen zehnmal mehr Geld als Fisch.

„Die Piratenboote gehören oft Strohmännern von einflussreichen Politikern und Unternehmern“

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Deshalb heissen die Riffe, an denen sich die Tiere gerne versammeln, bis heute im Volksmund „Bank“. „Du musst nur rausfahren, ein paar einsammeln, und hast schon Geld in der Tasche“, schmunzelt der Präsident der lokalen Fischergewerkschaft, Tobias Suárez.

Doch die goldenen Zeiten sind vorbei, heute kämpft er um das Überleben seines Berufs. „Es begann in den 70ern und war wie ein Fieber, jeder wollte was abhaben“, bestätigt der Langustenexperte vom Forschungsinstitut Labomar der staatlichen Universität in Fortaleza, Antonio Adauto. „Und weil es hier im armen Nordosten sonst kaum Arbeitsplätze gibt, subventionierte der Staat den Langustenfang mit billigem Benzin und Steuererleichterungen.“ Der Sektor blähte sich auf wie eine Seifenblase, nur der schnelle Profit war wichtig. 

Es gibt zwar Regeln und eine Schonzeit, aber daran hält sich niemand. Die Langustenexporteure finanzierten Kampagnen, die Politiker schauten weg.

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Die Artesanalfischer hatten das Nachsehen gegenüber den schnelleren Motorbooten der Piraten. Wieder und wieder wurden sie von den Behörden vertröstet – bis sie selbst ein motorbetriebenes Boot kauften, auf Patrouille gingen und ein Piratenschiff nach dem anderen kaperten. Ein Dutzend solcher aufgebrachten Boote stapelten sich am Strand, als die Piraten konterten – mit Pistolen. Als es die ersten Toten gab, schritt die Polizei ein: sie las den Fischern die Leviten. „Die Polizei hat die beschlagnahmten Boote angeblich in Sicherheitsverwahrung genommen“, erzählt Gewerkschaftspräsident Suárez. „Ein paar Wochen später waren sie verschwunden, wieder in den Händen der Piraten.“

Erneut berichtete die Presse, und endlich starteten Patrouillen im Meer. Aber nur kurzzeitig und punktuell. „Die Langustenpiraterie hat nie wirklich aufgehört“, sentenziert Bonfim. Bis zu 80% des gesamten, in Brasilien gefangenen Langusten stammt aus illegaler Fischerei,schätzt er.

Diese Zahlen können nicht einmal Unternehmer wie Mark Kleinberg bestreiten. Der kräftige, bleiche Manager sitzt in einem weissgekachelten, fensterlosen Büro in seiner Fabrik in Fortaleza. Früher hatte seine Exportfirma ”ipesca” eine eigene Flotte, die noch auf dem Meer den Fang tiefkühlte. Das ist nun nicht mehr rentabel. Jetzt kauft Kleinberg den Fang ein, spart sich Fixkosten für Boote und Arbeitskräfte und lagert das Risiko an die Fischer aus. „Vermutlich geht die Languste dem Ende entgegen“, wagt er eine Prognose, doch das ficht ihn nicht an, denn er hat sich längst diversifiziert in Richtung Krabbenzucht und Fischexport. Über Jahre machte er immerhin noch einen Umsatz von achteinhalb Millionen Dollar mit den Langusten. Er kaufe nur von Booten mit gültiger Fanglizenz, betont der Nachfahr von US-Einwanderern. Doch ob die auch legal fischten, also mit Reusen statt tauchenderweise, könne er nicht kontrollieren. „Das ist Aufgabe des Staates, aber der hat daran kein Interesse“, erzählt er. „Wir haben sogar ein Boot für Kontrollfahrten zur Verfügung gestellt, aber die Bürokratie hat es nicht geschafft, das einer Einheit zuzuordnen und in Betrieb zu nehmen.“

„Vermutlich geht die Languste dem Ende entgegen“

Bonfim hält das für puren Zynismus: „Die Unternehmer interessiert nur die Profitmaximierung. Sie mischen legal und illegal gefischte Langusten , und erhöhen auf dem Papier einfach die Menge, die ihnen ein lizensierter Fischer geliefert hat.“ Das funktioniert, weil einige Beamte die Augen zudrücken, vermutet Bonfim. Brasiliens Bürokratie ist ein kafkaeskes Labyrinth. Die Umweltbehörde hatte bis vor kurzem ein einziges Boot, um über 600 Kilometer Küste im Nordosten zu kontrollieren. Die Marine fühlt sich für den Kampf gegen illegale Fischer nicht zuständig, und das Fischereiministerium wurde unter Präsidentin Dilma Rousseff (2011-2016) mit dem Landwirtschaftsministerium fusioniert. Das  ist traditionell in der Hand von Grossgrundbesitzern und Politikern, die das Meer nur vom Strandurlaub kennen und sich als Fürsprecher des industriellen Fischfangs verstehen.

2016: 

Untertitelter Auschnitt aus dem DOK "He won her with fish" 

Brasilien bekam die Rechnung  für derartiges Missmanagement serviert: die Produktion ist um  mehr als die Hälfte eingebrochen, von 14.000 Tonnen im Jahr 2002 auf 8000 Tonnen heute, manchmal noch weniger.  „Für die Langusten sieht es düster aus“, sagt Forscher Adauto. „Sie werden zwar nicht aussterben, aber als wirtschaftliche Handelsware verschwinden.“ Mehr als 100.000 Arbeitsplätze stehen allein im Bundesstaat Ceará auf dem Spiel. Schon jetzt müssen die Langustenfischer während der sechsmonatigen Schonzeit im Jahr vom Staat mit einem Mindestgehalt  von knapp 1000 Reais (umgerechnet ca. 270 Schweizer Franken) monatlich entschädigt werden, um zu überleben.

Anfangs 2018 reagierte erstmals auch der Staat und entzog bei einer Inspektion der Hälfte der Langustenfangflotte die Lizenz. Dahinter steckt internationaler Druck auf Brasiliens Regierung. Die Importeure in den USA und Europa, die die wichtigsten Abnehmer der brasilianischen Languste sind, verlangen zunehmend Herkunftsnachweise, weil die Verbraucher anspruchsvoller geworden sind.

Jan. 2019

IBAMA beschlagnahmt und spendet im Nord Osten 10 Tonnen Fische

Juli 2018

IBAMA suspendiert Fischhandel in Groß-Handel von SP mangels Ursprungsnachweis

Dez. 2018

IBAMA beschlagnahmt im Nord Osten 4,2 Tonnen Langusten während der Schonzeit

IBAMA Zeitung
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Nach dem Amtsantritt des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro im Januar 2019 in Brasilien wird auch der Fischereisektor neu strukturiert. Die Artesanalfischer fürchten um ihre Arbeitslosenentschädigung während der Schonzeit, denn Bolsonaro will diese Sozialprogramme radikal zusammenstreichen oder abschaffen. Fischereiexperten räumen ein, dass der Verlust der saisonalen Zahlung momentan sehr gravierend für die Fischer wäre. Aber sie sehen auch Vorteile. Denn viele fischen nur pro Forma, um die Arbeitslosenunterstützung während der Schonzeit zu bekommen, sind also im klassischen Sinne Subventionsbetrüger und tragen zur Überfischung bei. Ohne die Entschädigung würden viele Gelegenheitsfischer aufgeben, und den verbleibenden Fischern würde dies potenziell größere Fänge einbringen.

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