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Agrotoxische
                     Flut

Ein Dammbruch am Rio Pardo

vergiftet Millionen

von Charlotte Eichhorn,  

Februar 2022 aus dem

Im Dezember 2021 brach nach tagelangem Starkregen an einem Nebenfluss des Rio Pardo im brasilianischen Bundesstaat Bahia ein Staudamm. Die Stadt Itambé, 300 km unterhalb der Bruchstelle, wurde unter Schlamm und Wasser gesetzt. Der Wasserpegel stieg um vier Meter, die Trinkwasserversorgung wurde lahmgelegt, Landstrassen versanken im Wasser, auch die abgelegensten Höfe von Kleinbauern wurden überflutet und von der Aussenwelt abgeschnitten, gegen eine Million Betroffene, die ihr Hab und Gut, somit auch ihr Einkommen verloren.

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Sickern agrotoxische  Substanzen unkontrolliert in die Erde, können sie laut Studien für tausende Jahre Boden und Grundwasser vergiften.

Der Staudammbruch wurde durch tropische Stürme mit extrem viel Regen ausgelöst. Ein Wetterphänomen, das in den vergangenen Jahren immer häufiger in Brasilien zu beobachten ist. Doch nicht nur die Fluten waren eine Katastrophe. Darüber hinaus war das Wasser auch noch mit agrotoxischen Giften versetzt.

Aber erst nachdem im Einzugsbereichs 100 Mio. tote Fische gemeldet wurden, nahm das Umweltministerium Wasserproben, stufte sie als giftig ein und verbot die Fischerei am ganzen Fluss.

 

Für die zahlreichen Monokulturen entlang dem Rio Pardo wird seit Jahrzehnten abgeholzt. Es werden Bewässerungskanäle angelegt, die mit Pestiziden aus den Monokulturen und von Antibiotika von den Rinderplantagen belastet sind. Bei plötzlich aufkommenden tropischen Stürmen können die Wassermassen nicht mehr von den stark erodierten, steinharten Böden aufgenommen werden. Die Wasserflut sucht sich mit all ihren Schadstoffen den kürzesten Weg in Richtung Meer.

An der Küste fliesst der Rio Pardo durch die Stadt Canavieiras und dem sog. RESEX -ein Land- und Meeresreservat- ins Meer. Die einzigen Fernstrasse dorthin wurde schnell in Leidenschaft gezogen, die wichtigste Brücke gab schliesslich nach und isolierte die Stadt und das RESEX bis Mitte Januar 22.

Von der Regierung des Bundesstaates Bahia kam keine Hilfe, er warnte die Anwohner nur via Social Media. Nachbarn versuchten verzweifelt, Eingeschlossene zu retten, sie mit Trinkwasser und Grundnahrungsmittel zu versorgen. Nie war die Rede von finanzieller Aufbauhilfe oder Entschädigungen von Seiten der Verursacher der toxischen Gülle.

Keine Rede von finanzieller Aufbauhilfe oder  Entschädigung

 von Seiten der Verursacher der toxischen Gülle.

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João (Barba) Soares

Fischer,

Vorbild und Seele seiner Quilombo-Gemeinschaft "Campinhos" im "RESEX Canavieiras"- dem Land- und Meeresreservat. (Quilombola sind Nachfahren afrikanischer Sklaven)

João Barba ist Präsident des Dachverbandes der Fischergemeinschaft AMEX,

Gewerkschafter, Umweltschützer,

Aktivist.

Er war im Jahre 2020 bei dem Dreh des DOK's "Rettung des Rio Pardo" dabei.

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Uli Ide

Agronom,

pensioniert, wohnt in Canavieiras, hat Jahrzehnte lang in Südamerika mit Schwerpunkt Brasilien für internationale NGO's gearbeitet und schon 2008 vor den Monokulturen im Einzugsgebiet des Cerrado gewarnt, das eines der wichtigsten Ökosysteme Brasiliens ist.

Er war im Jahre 2020 am Dreh des DOK's "Rettung des Rio Pardo" beteiligt.

Uli Ide warnte schon 2008 und im DOK "Rettung Rio Pardo“ 2020 vor den Folgen der Monokulturen und der Viehzucht: Aber er weiss auch, dass ein Verbot keinerlei Erfolgsaussichten hat, da der Agroexport eine wichtige Einnahmequelle Brasiliens ist. Daher plädiert er für ein besseres Management der Agrofirmen und verlangt ein  Mitspracherecht der Anwohner des Rio Pardo. Derzeit hilft er bei der Stärkung der Anwohnervereine nach dem Vorbild der Fischereigesellschaft AMEX in Canavieiras, deren Präsident der Fischer João Barba ist. AMEX war federführend bei der Rettungs- und Versorgungsaktionen während der Flut.

AMEX, FischereigemeinschaftUli Ide, Agronom, Canavieiras, Bahia

João Barba ist 63 Jahre alt und war entsetzt über die Anzahl der toten Fische nach der toxischen Flut. „So etwas habe ich bisher noch nie erlebt“, sagte er. Er ist auch wütend über die Grossgrundbesitzer, Firmen, Investoren, Politiker und dass sie abstreiten, dass das Wasser vergiftet war. Er macht sich Sorgen, dass der Kreislauf in den Brutstätten der Mangroven auf Jahre hinaus unterbrochen sein könnte, da Millionen reproduktionsfähige Fische und Krustentiere umkamen. Und er ist wütend, dass den Betroffenen niemand  Schadenersatz anbot, und kein Verantwortlicher zurücktrat. Er fürchtet um das Überleben der Familien im RESEX, die sich von Fischen und Krustentieren ernähren und sie auf den Märkten der umliegenden Städte verkaufen.

Wissenschaftlich belegte Warnungen über fehlendes Wassermanagement am Rio Pardo gab es schon Mitte 2020: Uli Ide hatte damals an einem Projekt  mitgewirkt, das heute weltweit als Vorbild gilt: Die Erstellung eines sogenannten" Water Flow Diagramms“. Das verbildlicht die unterschiedlichen Zonen des Flusses einer Stadt, deren Wasserströme und die Akteure. Es ist so die Grundlage für politische Entscheider, um ein stringentes Programm zum Wassermanagement zu entwerfen. Das Projekt vom schweizerischen Forschungsinstitut für Wasser „EAWAG„ durchgeführt und zusammen mit der Schweizer "DEZA" (Entwicklungshilfe- und Zusammenarbeit) und verschiedenen NGO 's getragen.

Dabei gab es einige schlechte Nachrichten für die dort ansässigen 30 000 Einwohner: Nur 37% des Abwassers läuft durch eine Kläranlage oder einen septischen Tank. Der Rest fliesst unbehandelt in den Fluss.

Der Rio Pardo wird auf der Höhe von Minas mit Pestiziden von Eukalyptusplantagen verschmutzt. Sie entziehen ihm ausserdem sehr viel Wasser. Die meisten Eukalyptusbäume werden zu Holzkohle verarbeitet um brasilianische Stahlwerke anzufeuern. Dort ist das Wasser aber noch weniger verseucht als weiter flussabwärts wo riesige Kaffee- und Obstplantagen sowie Viehweiden angelegt wurden.

Gefahr aus Bergbau-Rückhaltebecken 

Am oberen Flusslauf gibt es ausserdem von China finanzierte Minen, die Erz abbauen und exportieren. Die anfallenden toxischen Schlämme werden in Rückhaltebecken gelagert. Bislang haben sie standgehalten. Doch wie belastbar sie sind,und ob sie auch den Starkregenphänomenen in Zeiten des Klimawandels standhalten, ist unklar. Entsprechende technische Prüfungen sind unzuverlässig und korruptionsanfällig, wie z.B. die Ermittlungen zum Dammbruch in Brumadinho im Jahr 2019 ans Licht brachten.

Die lokale Menschenrechtsbeauftragte Marilene Alves de Souza kritisierte 2020 ausserdem den grossen Wasserverbrauch solcher Minen, von der Planung eines Kanals für den Transport von dem dort abgebauten Eisenerz durch die Berge in den nächsten Hafen am Meer.

Auch die beim Erz-Abbau freiwerdende Luftverschmutzung und die Vergiftung des Grundwasser durch Schadstoffe und Schwermetalle, sowie der in hochgiftigen Absetzbecken und Halden gelagerte Schlamm sind eine Gefahr:

Sickern diese Substanzen unkontrolliert in die Erde, können sie laut Studien für tausende Jahre Boden und Grundwasser vergiften. Deshalb sind in vielen Ländern weltweit solche Rückhaltebecken verboten. 

Passiert ist das bereits 2019, als ein solcher Damm mit toxischem Schlamm in der oben erwähnten Gemeinde Brunmadinho im Bundesstaat Minas Gerais brach. Eine zwölf Millionen Kubikmeter große, giftige Schlammlawine begrub ganze Dörfer unter sich, vergiftete Felder und forderte an die 250 Todesopfer. Eine neue Studie (2022 ) erweist nun, dass in der Gegend heute vor allem bei Kindern über dem zulässigen Wert liegende Metallkonzentrationen im Körper vorhanden sind. Auch die Zahl der Atemwegs- und psychischen Erkrankungen ist bei Erwachsenen erhöht.   

Nebst dem brasilianischen Bergbaumulti VALE- auch mit einem Sitz in der Schweiz-  wurde die Deutsche TÜV Süd verklagt, die den Rückhaltedamm geprüft und freigegeben hat. Noch sind nicht alle Betroffenen von Brumadinho entschädigt worden, die versprochenen neuen Siedlungen sind nicht fertiggestellt. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam: Die Wiedergutmachung des Minenunglücks im nahen „Mariana“ drei Jahre zuvor, wird erst jetzt vor einem englischen Gericht verhandelt, weil das verursachende englisch-australische Bergbauunternehmen BHP damals seinen Sitz in England hatte. Die Kläger sind betroffene indigene "Krenak"-Gemeinden, für die der brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais nach der Katastrophe gerade mal eine neue Trinkwasserversorgung erstellte.

Die Katastrophe Anfang 2022 war ein Weckruf für die Anrainer des Rio Pardo. Viele fragen sich wie der Fischer João Barba wie lange das alles in Zeiten der Klimaerwärmung noch so weitergehen kann. Sie pochen auf einen Dialog zwischen Anwohnern und Agrofirmen und verlangen einen Ausgleich zwischen Umweltschutz und wirtschaftlichen Interessen.

Politische EinschätzungUli Ide, Agronom, Canavieiras, Bahia
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